Der Verlag Zeter & Mordio aus Hannover nennt sich einen „Verlag
für Nebenwelten“. Hier kümmert man sich um Neuentdeckungen
und Talente, die bisher meist unveröffentlicht blieben, weil sie nicht
in die Programme der größeren Publikumsverlage passen, die jedoch
oftmals spannende und ungewöhnliche Geschichten zu erzählen haben.
Schon allein dafür gebührt den engagierten Verlagsmenschen ein
besonderer Dank.
Als neuer Star des noch jungen Verlags deutet sich die 39jährige Autorin
Juliane Beer an. Nachdem sie bereits mit literaturtheoretischen Texten Aufmerksamkeit
erlangte, legt sie mit „Über den Fortgang der Dinge“ eine
ambitionierte Erzählung vor. Die Ich-Erzählerin lebt über
dem Opernhaus der Stadt. Ihr Lebensinhalt besteht in der Belauschung der
Opernproben und der Beobachtung des Opernvorplatzes. Die „Anderen“,
wie sie ihre Mitmenschen nennt, geben ihr täglich Rätsel auf – sie
versteht einfach nicht, aus welchen Motiven sich die „Anderen“ so
verhalten, wie sie es tun. Alltäglichkeiten kennt und versteht sie nicht.
Zudem befürchtet sie, ihre Gedanken könnten von den „Anderen“ gehört
werden, weshalb sie zur Vorsicht des öfteren ein „lick lick lick“ vor
sich hersagt, um diese Gedanken zu übertonen. Sie ist Studentin, nimmt
aber kaum am Unterricht teil. Stattdessen teilt sie ihre Wohnung mit einem
imaginären Freund, mit dem sie Kaffee trinkt und aus dem Fenster schaut.
Mit ihm kann sie sich unterhalten und ihn von seiner Heimat, einem imaginären
Land, erzählen lassen.
Eines Tages nimmt sie einen Nebenjob in der Opernbar an, wo sie als Aushilfsbedienung
arbeitet. Der Trompeter des Opernorchesters scheint sich für sie zu
interessieren, was sie in wachsende Panik versetzt, denn anders als ihr Freund
in der Wohnung beginnt er Ansprüche an sie zu stellen, denen die sich
nicht gewachsen sieht. Schließlich findet sich die Erzählerin
einer ausweglosen Situation gegenüber, deren einzige Lösung ein
Opfer verlangt. Ihr Freund im Ohrensessel hat da schon eine Idee …
Die Szenerie in „Über den Fortgang der Dinge“ erinnert
zuweilen an die düsteren Passagen in Kafkas Erzählungen; besonders
die der übrigen Gesellschaft enthobene Opernatmosphäre und die
isolierte und schizophrene Wohnsituation trägt zu diesem Eindruck bei.
Es dauert, bis man als Leser in die Geschichte hineinfindet und die Ungeheuerlichkeiten
begreift, die sich abspielen, bis man begreift, dass man keiner der auftauchenden
Stimmen zu sehr trauen sollte. Die Erzählung fordert daher Geduld. Die
leider oftmals abgedroschenen Bilder, mit denen Beer eine Zivilisationskritik
versucht, verführen dazu, „Über den Fortgang der Dinge“ als
zu plakative Darstellung der sozialen Gegebenheiten einer Großstadt
und als ungelenken „Bericht eines Ausgegrenzten“ in der Folge
von Vorgängern wie Malte Laurids Brigge oder Woyzeck abzutun. Manchmal
wäre etwas weniger mehr gewesen. Wenn man sich jedoch hereinfindet in
den Ton der Geschichte, dann entwickelt sie immerhin ein charmant-grausames
Flair.