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Februar 2005 Ron Winkler
für satt.org

Daniel Banulescu:
Schrumpeln wirst du wirst eine exotische Frucht sein

Gedichte. Rumänisch/Deutsch. Aus dem Rumänischen und mit einem Nachwort von Ernest Wichner
per procura, Wien und Lana 2003

Umschlag

12 Euro,  » amazon

Schrumpeln wirst du wirst eine exotische Frucht sein

Ich bin verfault und Gott hat mich geraucht wie eine Zigarre
Die auch ich geraucht habe und die neben mir verfault ist

Ich war erschöpft und mein Leib wurde auf den Haufen geworfen
Auf dem sich seine Züge mit denen der anderen Erschöpften vermengten

Ich habe gesündigt und die Gier hat Ekel hervorgerufen während der Ekel
Die Gier auf den Ekel nach sich zog und nach der Gier auf den Ekel kam allein die Gier.

(Daniel Banulescu, aus „Ich gehe irgendwohin ein bisschen Blut erzählen“)

Um die Figurenkonstellationen komplexer Prosawerke transparenter werden zu lassen, ist dem eigentlichen Text gelegentlich ein Stammbaum der Protagonisten zur Seite gestellt. Im Zusammenhang mit (zeitgenössischer) Lyrik findet man solche umfassenden Genealogien eher nicht. Insofern überrascht es nicht wenig, eingangs eines Gedichtbandes auf ein Schema zu stoßen, das ein noch dazu recht seltsames Netzwerk von „Büchern, Personen, Orten, Begebenheiten und Liedern“ wiedergibt, die (angeblich) auf die folgenden Gedichte besonderen Einfluss hatten.
Es ist ein im Wesentlichen rumänisches Gebilde und es ist eine im Wesentlichen natürlich rumänische Dichtung, die sich aus den diversen und divergenten Bezugspunkten dieses Clusters speist. Von Johannes dem Täufer zu den Beatles, vom großen russischen Ironiker Bulgakow zum großen rumänischen Lyriker Nichita Stanescu, vom Boulevard Magheru zu den Dire Straits, von Phoenix bis hin zum Geburtstag des Autoren, nicht zu vergessen Dalí, Julio Cortázar und eine „Tante Fina“. Über allem thront die Bibel, und man kann zunächst nur vermuten, dass ihr orthodoxes System im Kontakt mit einem augenscheinlich schelmischen Dichter, der laut Selbstauskunft „protegiert von Weiberröcken in die rumänische Literatur“ eindrang, zu einiger Schieflage führen wird.

Denn Daniel Banulescu ist unbedingt ein spitzbübischer Autor, der nicht unbedingt Zeit und Muße hat, „der Menschheit das in Aussicht gestellte Gute zu bringen“. In seinem poetischen Universum gelten die physikalischen Gesetze der Absurdität. Er lässt die Welt aufs Zärtlichste mit seinen eigenen verschrobenen Ansichten kollidieren. Oft genug resolut, mitunter recht drastisch und vorzugsweise vom „Plumeau des Wahnsinns“ (Nicolae Manolescu) aus in die Sprache diktiert.

Banulescu ist ein sympathischer, launischer Maldoror, über dem „ein Engel der Zwietracht“ leuchtet und der mit seinen Gedichten einen „Bundesstaat Daniel Banulescu“ entwirft, welcher ein Labyrinth ist voller Obsessionen, kruder „Gebete“ und höchst artistischer Harlekinaden. Seine Gedichte sind keine „Spitalzimmer“, wie er es einmal von Händen meint. „Gute Laune Hoffnung und Aufschwung“ äußern sich vorzugsweise im ambivalenten Gestus fröhlichen Postulierens, dessen bizarre Art und Weise ihn bisweilen hintergründig „ganz nah an Gottes Schläfe“ führt.

Die drängende Vitalität dieses Dichters, seine opulente Metaphorik und seine Lust am Ausscheren aus konventionellen Darstellungsmustern, seine sprachliche Frische und „Stilanarchie“ (Richard Wagner), sein augenzwinkerndes Aufschneiden und die raue sexualerotische Prägung der Gedichte münden in einem außergewöhnlichen poetischen Projekt.
Es ist nicht weiter verwunderlich, dass im sozialistisch reglementierten Rumänien nur wenige Texte des 1960 geborenen Quergeists Banulescu publiziert werden konnten. Paradoxerweise, darauf weist der Übersetzer Ernest Wichner in einem Nachwort hin, erschien eine Sammlung weniger Gedichte als Teil der Zeitschrift „Kommunistische Überzeugungen“ und enthielt zudem mit „Der Tag an dem ich publiziert wurde“ ein Gedicht, das „alles verhöhnte, was damals als sakrosankt zu gelten hatte“ (Wichner). Leider verzichtet die vorliegende Auswahl auf diesen Text. Gleichwohl liegt offen, dass ein Daniel Banulescu für keinerlei Patriotismus oder postbourgeois-sozialistische Konzepte einzuspannen war. Ein Beispiel dafür aus „’Ein Feind des Volkes’ – der sein Vaterland liebt“:

Im Stehen habe ich dich geliebt mein Vaterland als ich Holz hackte
Leicht vornübergebeugt habe ich dich geliebt als ich Ziegel
     für die Schweineställe aufschichtete
In denen ich dann bellen sollte nur für dich

Auf den Knien habe ich dich geliebt und geliebt hab ich dich im Liegen
Als ich mich herumwälzte die Decke beiseite schleuderte und dich
     durch die Kinosäle des Viertels schleppte
Wo ich dich so lange streichelte bis dein irre gewordenes Fleisch sich
     die Trägerchen durchgescheuert hatte
Und deine Eingeweide ans Leinwandlicht traten und tanzten
Während dein Stöhnen mir mit Klebestreifen je eine Waffe
     auf den Rücken nähte.

Ungezügelt ist diese Poesie und voller Paradoxien, disharmonisch und verschlagen, hochgradig eigensinnig und entwaffnend burlesk. Doch obwohl viele Metaphern eigenständige Komödien bilden – ein Raum reiner Theatralität ist diese Dichtung nicht. Der blauäugige Charakter der Figur „Daniel Banulescu“, ihr doppelbödig jovialer Umgang mit den Dingen und sich selbst sind überwiegend Fassade. Dahinter steckt der Anspruch, das Erhabene mitsamt seiner „abgehobenen Phrasen“ gegen die Ebenen der Realität auszuspielen und zugleich in prüdem und konservativem Umfeld die Liberation der Literatur voranzutreiben. Daher die Übertreibungen, der „sadistische und masochistische“ Impetus der Gedichte, daher ihre Heterogenität, daher die Kanäle zu Villon, Beat und Baudelaire, daher die starken Schwankungen zwischen laxen und schrillen Tönen.
An Konsens ist Banulescu wenig gelegen. Aber auch wenn seine Gedichte in heiteren Provokationen schwelgen, lassen sie große Ernsthaftigkeit erkennen. Nicht nur dann, wenn Banulescu „ein bisschen Blut“ zu erzählen hat.
Es gibt deutliche Anzeichen für einen deformierten Idealismus. Sentiment und Sentimentalitäten sind wie die ironische, manisch wilde Metaphorik Nachbeben von Resignation, Melancholie und Langeweile. Und der beständige Hang zum Affront ist der tragische Abdruck eines „Erschöpften“.
Doch bleibt die Verbitterung subtile Spur. Banulescu bevorzugt es, entblößende Grotesken dagegen zu setzen. Um dann wieder warmherzig zu sein, zauberhaft verschnupft oder einfach total verrückt. Diesem Dichter ist große Verbreitung zu wünschen.