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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen



Februar 2005 Tina Manske
für satt.org

Sarah Diehl (Hg.):
Brüste kriegen

Verbrecher Verlag 2004

Umschlag

197 S., Tb, 19,90 Euro
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Brüste kriegen

Als Frau wird man nicht geboren, zur Frau wird man gemacht – soviel haben wir seit Simone de Beauvoir gelernt. Jede Frau hat somit ihre eigenen individuellen Erfahrungen damit, was es heißt, in dieser zweigeschlechtlich gepolten Welt Fuß fassen zu müssen. Trotzdem gibt es eine Zeit im Leben, die die meisten heranwachsenden Frauen als entscheidende Phase empfinden, und das ist die Pubertät. Der Körper beginnt ein Eigenleben zu führen, die Gefühle fahren Achterbahn und die Welt blickt einen plötzlich aus veränderten Augen an. Wie werden Mädchen eigentlich zu Frauen und wie gehen sie mit den schwierigen Verhältnissen dieser passage um?

"Brüste kriegen" aus dem Verbrecher Verlag in Berlin sammelt Erfahrungsberichte verschiedener Autorinnen der unterschiedlichsten Altersgruppen. Der Band vereinigt Text- und Bildbeiträge von Pop-Autorinnen (Kerstin Grether, Tanja Dückers), Pop-Journalistinnen (Tine Plesch †, Sonja Eismann), Musikerinnen (Peaches, Kevin Blechdom, Angie Reed) und vielen anderen interessanten Frauen (und auch ein paar Männern). Françoise Cactus, Sängerin der Band Stereo Total, erzählt von ihrer Tätigkeit als "Sex-Beraterin" auf dem Schulhof (eine Tätigkeit, die sie trotz sexueller Unerfahrenheit und der Tatsache, dass sie mit die Jüngste der Klasse war, gerne ausführte); Tanja Dückers schreibt in ihrer Erzählung "Wüste Gobi" dankenswert ehrlich von einem versuchten ersten Mal ("Plötzlich fängt er an, wild herumzurühren, irgendwie geraten ein paar Essensreste aus seinem Mund in meinen und mich überkommt ein Würgereiz"); Annette Berr erzählt von pubertärer Gender-Aufmüpfigkeit; Käthe Kruse spricht mit zwei Mädchen, die noch mitten drinstecken in der Pubertät und merkt, dass die Probleme in den letzten Jahrzehnten wesentlich die gleichen geblieben sind.

Das ist alles in allem zunächst unterhaltsam und kurzweilig zu lesen. Aber das Buch hat auch ernste Momente; so das Gespräch mit Andrea Losch, deren Tochter geistig behindert ist. Dass auch behinderte Menschen den Wunsch nach Sexualität verspüren und diese Sexualität auch ausleben wollen, ist für viele "gesunde" Menschen immer noch ein Tabu (O-Ton Losch: "Auf einmal sagen mir manche Leute, ich solle Lisa sterilisieren lassen").
Nachdenklich stimmt auch der Erfahrungsbericht von "Sieres", einem Menschen aus Berlin, der als Mann geboren wurde, sich aber seit jeher irgendwie "anders" fühlte, gerne "Frauenkleidung" und langes Haar trug und nun nach Jahren des Doppellebens eine neue Identität gefunden hat. Er musste sich in abstrusen Gerichtsverhandlungen herumtreiben, in denen man seine Berechtigung zum Tragen eines weiblichen Vornamens verhandelte, welche in dem Urteil mündeten: "Die Inaugenscheinnahme bestätigt die Realisierung des Zwangs." Auch Sieres bekam seine "verspätete" Pubertät und wurde zur Frau gemacht, obwohl das nicht seine Intention war. Doch so funktioniert die verdammte Zweigeschlechtlichkeit unserer Kultur – wenn man das eine nicht ist, muss man wohl das andere sein, ob man will oder nicht.