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Februar 2005 | Björn Kuhligk für satt.org | |
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Das bleiche Herz der RevolutionVor einigen Tagen hat die Autorin des Romans "Das bleiche Herz der Revolution" ihr Psyeudonym Sophie Dannenberg fallen lassen und ihren bürgerlichen Namen der Öffentlichkeit genannt, wohl auch aus Verärgerung über die immer unglaublicher werdenden Vermutungen, wer wohl der tatsächliche Autor sein könne. Die Autorin heißt Annegret Kunkel, was aber weiter keine Rolle spielen soll, da es ein Buch gibt, an das man sich halten kann. Also los: Alle 68er hatten Sex vor ihren Kindern, die Männer faßten ihren Töchtern an die Brüste, die Mütter schleiften die Familie zur Psychotherapie, Kot wurde an die Wände geworfen, man hat die DDR verehrt, alle Söhne hießen Benno, damit sie als lebender Benno Ohnesorg von Freunden beäugt werden konnten, alle 68er undsoweiter, das gesamte Programm wird in diesem Buch abgespult: Kommunen, sexuelle Befreuung, Psycho-Tralala, Happening Art, das "Ich habe abgetrieben"-Cover des "stern" und wenn man auf Seite 83 zum zigsten Mal den Vorwurf liest, eine Handlung, Sache oder Person sei bourgeois, erschöpft es sich von selbst. Durch diesen Griff in den Zettelkasten hat diese Prosa etwas Absehbares und Langweiliges. Sehr entfernt ist es eine kleine, nur angerissene Liebesgeschichte. Die Hauptfigur Kitty Caspari, Tochter eines 68er Pärchens, durchleidet die Auseinandersetzungen dieser Zeit, das Umkippen von Erziehungsmethoden, die Eltern als plötzliche Drangsalierungsapparate und Machtausüber. Sie trifft auf den Soziologen Hieronymus Arber, der Assistent bei Aaron Wisent war, und der von Konkurrenten, als die Besetzung des Leitungspostens des Instituts ansteht, neudeutsch gemobbt wird. Theodor Wiesengrund Adorno, der hier als Aaron Wisent maskiert auftritt, wird, als er eine Vorlesung beginnen möchte, in dem Hörsaal von einem Molotov-Cocktail getroffen und stirbt an den Verbrennungen. Mon dieu! Zwar wurde Adorno später von der Linken heftig kritisiert und andersrum, nur muß das nicht mit der Tötung gleichgesetzt werden, auch wenn es satirisch sein soll. Cohn-Bendit, Habermas, Ströbele und viele andere mehr bekamen auch neue Namen verpasst. Das ist ein lustiges Ratespiel. Der Trash-Preis wird allerdings an folgende Stelle vergeben: Als Klammer dieses Romans dient die Geschichte von Kittys Großeltern. Die Kriegs- und Fluchterinnerungen des Großvaters, die plötzlich sehr dicht, realistisch und schmerzend das Buch abschließen, verstören einerseits durch eine plötzlich interessante und nachvollziehbare Geschichte, andererseits wird hier das Buch, das eine Satire sein soll, und so auch über Dutzende von Seiten anmaßend agiert, mit dieser völlig ungebrochen erzählten Teillebensgeschichte des Großvaters, der einbeinig aus dem Krieg heimkehrte, zur Farce. Es suggeriert nur noch einen Vergleich der 68er- mit der Kriegsgeneration, wobei dann der Großvater und mit ihm eine komplette Generation die Sympathie erhascht. Und das ist nichts weiter als historisch völlig labil. Zu dem, das auf einer Postkarte, die aus der DDR importiert und vom Papier- und Müllkombinat Luckenwalde hergestellt wurde, Osama Bin Laden und Che Guevara auf dem selben Foto zu sehen sind, ist abstruser Polit-Quark. Jetzt noch zur Sprache: Immer wieder tauchen zeilenlange, völlig überflüssige Natur-, Gebäude- oder Raumbeschreibungen auf, die weder die Handlung vorantreiben noch eine Atmosphäre erzeugen. Zudem arbeitet die Autorin oft mit kruden, lyrisch-anmutenden jedoch unsinnigen Bildern wie "Morgens spiegelte das Wasser. Am Mittag begann es zu leuchten, ein auslaufend blaues Auge". Ja, hört sich echt stark an, doch was spiegelte das Wasser? Und wenn es denn eben leuchtet, kann da nur die Sonne im Spiel sein und das sieht dann sehr hell aus und nicht wie ein gematschtes Auge. Solche ungenauen Stellen, die verärgern, treten meist im Rudel auf. Ach, noch was: "Du bist ödipal-regressiv-aggressiv-inzestuös-anal abhängig." Oh jeh, jetzt gab’s noch mal einen drauf. Satire hin oder her. Lustig war es nicht. Geläutert oder gar Erkenntnis gebracht hat es nicht. Der Ansatz ist ein guter, doch braucht es dafür keine Satire, keine Herumblödelei, keine Überhöhungen, keine Trash-Witzchen, sondern einen von Angesicht zu Angesicht konzipierten und ernsthaften Roman, der sich nicht davor scheut, die realen Namen und Orte aufzurufen. So, nur so, findet ein Disput statt. Eine genaue Auseinandersetzung mit den Fehlern und Erfolgen der 68er-Generation ist notwendig, doch dann besser auf einem anderen Parkett. Erstveröffentlicht im tip 3/2005 |
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