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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen



Februar 2005 Frank Willmann
für satt.org

Uwe Timm: Morenga. Deutscher Taschenbuch Verlag 2000. 11 Euro.

Gerhard Seyfried: Herero. Eichborn 2003. 29,90 Euro.

Jürgen Leskien: Dunkler Schatten Waterberg. Schwartzkopff Buchwerke 2004. 18 Euro

Die Ausstellung "Namibia – Deutschland, eine geteilte Geschichte" läuft noch bis zum 13. März 2005 im Deutschen Historischen Museum Berlin. Der Katalog zur Ausstellung wurde von Larissa Förster, Dag Henrichsen und Michael Bollig herausgegeben, erschien in der Edition Minerva und kostet 25 Euro

Namibia – Deutschland,
eine geteilte Geschichte

2004 jährt sich der Aufstand der Herero und Nama in der ehemaligen deutschen Kolonie zum hundertsten Mal. Im Laufe dieses Kriegs wurde mindestens die Hälfte der Herero und Nama von den Deutschen ausgelöscht. Im heutigen Namibia hat die kurze deutsche Kolonialepoche nachhaltige Spuren hinterlassen. Es gibt in Namibia noch immer eine große deutsche Minderheit. Deutsche Städtenamen, deutsche Speisekarten und deutsche Kriegsgräber prägen das Bild des Landes.

So schizophren wie die Landnahme auf einem unbekannten Kontinent und die Unterwerfung der "Hottentotten" an sich war, zeigt sich auch die Ausstellung "Namibia" im Deutschen Historischen Museum. Da finden sich, jeweils auf zwei Raumhälften aufgeteilt, die beiden Ansichten der gleichen Sache: ein selbstgebasteltes Draht-Auto eines schwarzen Kindes aus dem heutigen Namibia und gegenüber das maschinengefertigte Spielzeugauto eines weißen Farmerkindes, zurechtgebogen aus dicken Stahlfäden. Die weißen Väter sind ihren eingeborenen Frauen gegenübergestellt. In der Mitte, im Niemandsland, hängen die vorwiegend ungewollten Kinder, nicht weiß, nicht schwarz.

Den Schwerpunkt der Ausstellung bildet die Zeit des Kolonialkriegs. Es folgt das Kapitel "Lebenswelten auf dem Lande". Hier werden besonders die trennenden Aspekte betont, beispielsweise wird eine kommerzielle Farm in deutschen Privatbesitz einem kommunalen hererosprachigen Haushalt gegenüber gestellt. Auch die verklärenden Gedenkfeiern einiger Deutschstämmiger sowie der schwarzen Bevölkerung werden thematisiert – bis sich die Ausstellungsmacher der komplexen Frage nach einer "gemeinsamen Zukunft" zwischen deutschstämmigen Weißen und der farbigen Bevölkerungsmehrheit widmen. "Namibia" ist eine kritische, antikoloniale und sehenswerte Ausstellung, die leider etwas klein ausgefallen ist.

Im Folgenden möchte ich auf drei weitere Bücher eingehen, die den Kolonialkrieg thematisieren: Zur Freude eines jeden Lesers gibt es Schriftsteller wie Uwe Timm. Der hat mit dem Roman "Morenga" großes geschaffen. Timms Buch erschien 1979 und sorgte für Furore. Alfred Andersch bewunderte in den höchsten Tönen die Meisterschaft Timms: "Ohne Uwe Timms Morenga’ zu kennen, wird man in Zukunft über die deutsche Kolonialgeschichte nicht mehr nachdenken können". Die gelungene Verknüpfung von Fiktion und Geschichte macht den Roman zu einem grandiosen historischen Meisterwerk. Ein dramatischer, geist- und faktenreicher, ergötzlicher und in jeder Beziehung berauschender Roman: "Nachmittags begannen die Vorbereitungen für die Weihnachtsfeier. Der Regen hatte aufgehört und eine Schlammlandschaft zurückgelassen. Vor der Kommandantur wurde ein Weihnachtsbaum aufgestellt, eine zurechtgestutzte Tamariske. Heute bleibt kein Auge trocken, sagte ein Oberleutnant. Er hatte sich schon die Uniform vollgekotzt. Die Träger der deutschen Kultur, sagte Wenstrup, der alle mit einem grauen Chapeau claque überraschte, an den er einen Tamariskenzweig gesteckt hatte. Er begann langsam denen zu ähneln, die zu bekämpfen er hergeschickt worden war." Timm lässt den Leser mit dem Veterinär Gottschalk am Krieg der deutschen Kolonialmacht gegen die Nama teilhaben. Gottschalk, von seinem zu anarchistischen Ideen neigenden Kameraden Wenstrup vom rechten Soldatenweg abgebracht, gerät in Zweifel und verliebt sich dazu in eine Nama. "Morenga" ist ein Roman-Fest, angefüllt mit absonderlichen Gestalten und unfassbaren wahren Geschehnissen.

Auch Gerhard Seyfried hat sich das dunkle Kapitel deutscher Geschichte zur Brust genommen. Mit "Herero" hat er 2003 einen fetten Wälzer auf den Buchmarkt gehebelt. Mit Akribie hat Seyfried geschrieben, geschrieben und geschrieben. Auf tausend Seiten folgen wir dem Kartografen und späteren Soldaten Ettmann durch Deutsch-Südwest im Kriegsjahr 1904. Tag für Tag, Begebenheit für Begebenheit rollt Seyfried chronologisch dies und das auf. Bissel Liebe gibt’s auch, indes bei Seyfried wird sich in eine Deutsche verliebt. Wer hätte das gedacht? Leider hat er der geschichtlichen Faktizität den Vorrang vor der schriftstellerischen Phantasie gegeben. Das soll schöngeistige Literatur sein? No! "Herero" ist ein aktueller Historienschinken mit Blick für Details … aber, viele Passagen des Buches sind zäh und öde. Seyfried hat wie ein fleißiges Bienchen recherchiert und allerlei unwichtige und wichtige Details in zwei Buchdeckel gepackt. Das Papier ist unschuldig. Die Herero und Nama sind in seinem Roman nur als Statisten vorhanden. Man kommt sich manchmal vor, wie in einem modernen Kolonialroman voller Stereotypen. Es fehlt Seyfried eine kritische Distanz zum Wüten der deutschen Soldateska, wohingegen die Herero und Nama eher als primitive, mordlustige Genossen und nicht etwa als Opfer eines Völkermords erscheinen. Summa Summarum: Ein stotternder Kolportage-Wälzer ohne viel literarisches Geschick.

Mit "Dunkler Schatten Waterberg" ist ein Buch von Jürgen Leskien betitelt. Es trägt den unglücklichen, da missverständlichen Untertitel "Afrikanische Nachtgespräche". Es ist ein Band bearbeiteter Interviews. Aufgepeppt mit prosaischen Reiseerlebnissen des Autors in Namibia und Exkursen in die Geschichte des Landes. Interviewt wurden von Leskien ausschließlich deutschstämmige Namibianer. Warum, fragt man sich schon nach wenigen Dutzend Seiten, ist der Autor nicht bei den Interviews geblieben? Diese sind zeitweilig sehr spannend zu lesen, haben aber oft einen belehrenden Unterton. Hin und wieder zu belehrend.