Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen



März 2005 Mascha Vassena
für satt.org

Ralf Rothmann:
Junges Licht

Suhrkamp Verlag

Umschlag
   » amazon

Ralf Rothmann: Junges Licht

Zurück zu den Wurzeln, so könnte man das Motto dieses Romans festlegen. Rothmann kehrt zurück in den Ruhrpott der 60er Jahre, ins Grubenarbeitermilieu und in die Jugend. Das alles hat er schon unter anderem in dem wunderschönen Roman „Milch und Kohle“ beschrieben, und auch diesmal zieht er den Leser in seine Geschichte hinein. Erzählt wird ein letzter Kindheitssommer: Julian ist zwölf und schwankt auf dem schmalen Grat zwischen Kindheit und Adoleszenz. Auf der einen Seite interessiert er sich heftig für die Reize der frühreifen Vermieterstochter Maruschka, andererseits verbringt er seine Nachmittage im „Tierclub“, einem Bauwagen, in dem er und seine Freunde Vögel und Kaninchen halten.

Der verträumte Julian hat es nicht leicht in diesem Sommer: Seine kranke Mutter und die kleine Schwester sind zum Urlaub an die See gefahren, Julian muß aus Geldmangel zurückbleiben und sich um den Vater kümmern. Der Grubenarbeiter kann sich noch nichtmal das Brot für die Mittagspause selbst herrichten. Dazu kommt, dass Julian mit den abgebrühten Jungs in der Siedlung Probleme hat: Als die ihm zum Beispiel die Schuld für einen Ladendiebstahl in die Schuhe schieben wollen, hinterläßt er der Kassierin prompt seine wahre Adresse – während die wahren Missetäter frech falsche Namen angeben. Julian bangt fortan vor dem Brief, der bald Zuhause eintreffen muß. Solche Kindheitsnöte beschreibt Rothmann überaus plastisch. Kinder sind machtlos in der Welt dieses Romans. In den 60ern war die Erziehung noch strikt autoritär, Julians Mutter zögert nicht, ihn mit dem Handfeger zu vertrimmen.

Was „Junges Licht“ umso eindrücklicher macht, ist die Genauigkeit. Da stimmt jede Einzelheit, von der Penatencremedose, die als Aschenbecher weiterverwendet wird bis zum Treppenhauskiosk, bei dem man anschreiben läßt. Der Leser folgt Julian durch den Sommer, an dessen Ende er kein Kind mehr sein wird und die Familie aus ihrer Wohnung ausziehen muß. „Junges Licht“ ist ein einfühlsamer Roman über das Erwachsenwerden, aber auch die unsentimentale Rekonstruktion einer vergangenen Zeit.

Ralf Rothmann, geboren 1953, aufgewachsen in Oberhausen, arbeitete als Maurer, Koch, Drucker und Krankenpfleger, bevor er freier Schriftsteller wurde. Er sagt: "mein Schreiben ist immer autobiographisch, denn schließlich ist alles, was man erlebt, wert, es auch aufzuschreiben." Er veröffentlichte u.a. die Romane "Stier", "Wäldernacht", "Hitze" und den Erzählband "Ein Winter unter Hirschen".