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April 2005 Marc Degens
für satt.org

Christoph Peters:
Heinrich Grewents Arbeit und Liebe

btb 2005

Christoph Peters: Heinrich Grewents Arbeit und Liebe
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Christoph Peters:
Heinrich Grewents Arbeit und Liebe

1999 erschien der wundervolle Roman "Stadt Land Fluß", der seinen dreiundreißigjährigen Autor Christoph Peters zu Recht schlagartig berühmt machte. "Stadt Land Fluß" ist eine raffiniert konstruierte, abgründige und meisterhaft geschriebene Liebesgeschichte voller Wärme, Schmerz und Poesie. 2001 folgte der Erzählungsband "Kommen und gehen, manchmal bleiben", der vierzehn sehnsuchtsvolle, stilistisch makellose Kurzgeschichten enthält, die die Heimatlosigkeit und das Fernweh thematisieren, und Peters endgültig in der ersten Reihe der besten deutschsprachigen Erzähler etablierten. 2003 veröffentlichte Christoph Peters dann "Das Tuch aus Nacht", eine etwas übertrieben manierierte Istanbul-Romanphantasie mit Love-and-Crime-Zutaten – Peters’ bislang schwächstes Buch, das trotzdem aus der Literaturproduktion der Gegenwart herausragt. In diesem Frühjahr nun bringt der btb-Sproß der Random-House-Verlagsgruppe seine Angestelltennovelle "Heinrich Grewents Arbeit und Liebe" heraus, den Angriff eines Schriftstellers auf die bürgerliche Existenz, eine Anti-Utopie, und nicht zuletzt auch eine künstlerische Selbstvergewisserung. Die größte Überraschung an dem Werk ist allerdings die Tatsache, daß die Novelle bereits 1996 veröffentlicht wurde.

Als "Stadt Land Fluß" 1999 erschien, begrüßte man den Autor als einen abseits des Betriebs Herangewachsenen: Peters hatte von 1988 bis 1994 Malerei studiert und arbeitete seit 1995 als Luftsicherheitsbeauftragter am Flughafen Frankfurt/Main. Die Kritiker feierten ihn als Schriftsteller, der etwas vom wirklichen Leben verstehe, nicht durch Literaturstipendien verhätschelt und verdorben wurde und einfach in seiner Freizeit solch ein Meisterwerk fabrizierte. Dafür bekam Peters viele Auszeichnungen, unter anderem den Aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Debüt. Peters’ Debüt erschien aber eigentlich drei Jahre zuvor, ganz ordnungsgemäß, mit ISB-Nummer und unbemerkt von der Kritik: im kleinen Dreieck-Verlag, der später im Mainzer Ventil Verlag aufging. Nicht der Umstand, daß Peters den Aspekte-Preis zu Unrecht erhielt und später die Restauflage seines Debüts aufkaufte und aus dem Verkehr zog, ist ein Unding, sondern die Debütantenversessenheit des literarischen Feldes und die Tatsache, daß ein in einem Kleinverlag erschienenes und unbemerkt gebliebenes literarisches Erstlingswerk einen zu verbergenden Makel darstellt. Als ob sich ein Autor dafür entschuldigen müsste, daß er von der Kritik seinerzeit nicht wahrgenommen wurde …

Nun ist die Novelle in einer vom Autor durchgesehenen Ausgabe in einem Großverlag neu aufgelegt worden, und auch wenn die Gelegenheit verpaßt wurde, das Image und die Akzeptanz der Kleinverlage aufzupolieren, so darf der Leser sich freuen. Christoph Peters’ Stil ist auch in diesem Buch von nahezu vollkommener Schönheit: "Die Scheibe war ein Tropfenschlachtfeld. Einige zuckten noch, andere rollten matt zur Seite oder flossen aus Rinnsalen zusammen bis zur Übersättigung, um dann gerade wie an einer Lotschnur auf die Gleise zu stürzen. Der Halt bot ihnen lediglich ein kurzes Verschnaufen."

Inhaltlich klagt "Heinrich Grewents Arbeit und Liebe" die Zwänge und Wiederholungen eines gewöhnlichen Erwerbs- und Ehelebens an und ist insgeheim ein Plädoyer für ein selbstbestimmtes, risikoreiches Künstlerleben. Und es ist gewiß kein Zufall, daß das Buch – wie etwa auch die vergleichbare Novelle "Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfingers" (1986) von Alban Nikolai Herbst – ausgerechnet am Beginn der Werkbibliographie des Schriftstellers Christoph Peters steht.