Frank Schäfer: Pünschel gibt Stoff MaroVerlag, Augsburg 2004
192 S., 12,90 Euro » amazon
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| Frank Schäfer: Pünschel gibt Stoff
Ehre, wem Ehre gebührt
Als ich die, nicht gerade als zierlich zu bezeichnende, Hand auf meiner Schulter spüre, zucke ich zusammen, drehe mich um und hebe meine geballten Hände zu einer abwehrenden Geste. "Lass die Fäuste stecken", grinst mir Pünschel entgegen. "Ach du bist's!", erwidere ich erleichtert, mehr oder weniger. "Unglaublich, oder?" sagt er und deutet auf den neu angelegten Weg auf dem Braunschweiger Nussberg, bei dessen Betrachtung er mich gerade aufgeschreckt hatte. Ich nicke bestätigend: "Alles wird gekürzt, aber für so einen Scheiß habe sie Geld über!" Pünschel ist ein Bekannter von mir, den ich im Sommer über Frank Schäfer beim Motörhead-Konzert in der Braunschweiger Großraumdisco Jolly Joker kennen gelernt habe. Wir standen nach dem Ende des Gigs noch draußen zusammen und echauffierten uns über die an diesem Abend doch recht überhöhten Getränkepreise – "Lemmy zu Ehren", war mir an der Theke beschieden worden. Aber ich bemerke, dass hinter Pünschels grinsender Fassade ein Unglück lauert, das erzählt sein will. "Und wie steht die Kunst?" versuche ich es ihm zu entlocken. "Gut, gut", antwortet er nicht wirklich fröhlich, "gerade ist wieder ein Buch von mir draußen." "Oh, super!" pfeife ich anerkennend und frage mich insgeheim, welcher waghalsige Verleger diese zweifelsohne drogeninduzierte Entscheidung getroffen haben mag. "Das von Frank!" fügt er erklärend hinzu. "Ach, das!", nicke ich wissend und denke, dass das doch keineswegs ein Grund ist sich zu grämen, denn immerhin ist das Werk bei dem traditionsreichen Maro-Verlag erschienen. Es enthält kleine Geschichten, die im Wesentlichen die Gespräche zwischen dem oben erwähnten Schriftsteller Frank Schäfer und eben dem Thomas Pünschel wiedergeben, der mir hier gegenübersteht. Die Storys waren vorher als Kolumne in den nicht minder traditionsreichen Zeitungen junge welt und taz erschienen. "Ja, is' ein schönes Ding geworden", sage ich und meine es ehrlich. "Ja, schon …" "Bei Maro erschienen!" "Ich weiß!" "Und du bist die Hauptperson!" "Sicher, sicher …" "Über mich hat noch niemand ein Buch geschrieben!" sage ich schließlich und bereue es sogleich, denn Pünschel lässt es sich nicht nehmen, abschätzig die Oberlippe hochzuziehen und mit einem etwas zu herablassenden "Wird wohl auch nicht passieren" zu antworten. Trotzdem bohre ich weiter: "Aber irgendwie bist du doch unzufrieden …" "Na ja", windet er sich, "sind schon ein paar etwas peinliche Geschichten dabei …" "Welche meinst du: die mit der Schuppenflechte am Arsch und der Arzthelferin aus der Nachbarschaft?", grinse ich und füge etwas provozierend hinzu: "Bist du eigentlich schon umgezogen?" Vorwurfsvoll und zum Glück auch sprachlos schaut er mich an. "Oder die mit der Lesung in der Stadtbücherei Salzgitter und dem vergessenen Buch?" Bei der Vorstellung, wie Pünschel statt dessen einfach ein paar Seiten aus Arno Schmidts "Seelandschaft mit Pocahontas" heraus gerissen und vorgelesen hat (" … kam nicht gut an, fandense scheiße … "), muss ich lachen. "Das hatte ich nicht vergessen, das wurde mir im Zug gestohlen!" Pünschel klingt ehrlich empört, so dass ich auf weitere Nachfragen verzichte. "Ist auch schon super, das Buch" gibt er auch gleich daraufhin zu, relativiert jedoch sofort: "Aber eine Sache stört mich doch." Nun kommt er also endlich zu Sache! "Ich hatte nämlich vergessen, mich an den Rechten beteiligen zu lassen … Wenn das Ding ein Erfolg wird – und wenn es einen Gott gibt und Gerechtigkeit und das ganze Gedöns wird das passieren! – verdient Frank ganz alleine daran!" "Aber du wirst doch berühmt dadurch! Und du wirst alle deine Romane veröffentlichen können. Alle!" versuche ich ihn aufzumuntern und füge etwas leiser hinzu: "Sogar die … äh … etwas experimentelleren.". "Ja, ja, wahrscheinlich hast du Recht!" gibt Pünschel zu und der Ansatz eines Lächelns zeichnet sich auf seinem Gesicht ab. "So'n Scheiß!" sagt er dann plötzlich und deutet auf das Denkmal, zu dem der neu angelegte Weg führt, und liest die darauf befindliche Inschrift vor: "’Dem Führer in der Schlacht von Waterloo Seine treue Gemeinde’". Dann hebt er die Hand zum Gruße, spricht ein kurzes "Hau rein!" und geht schnellen Schrittes von dannen. "Mach's gut!" erwidere ich und gehe in die entgegen gesetzte Richtung, der untergehenden Sonne entgegen. |