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April 2005 | Christian Bartel für satt.org |
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| Dr. GonzoHunter S. Thompson war ein Großmaul, ein bekennender Polytoxikomane, ein reaktionärer Waffennarr und wenn es nach Sonny Barger, dem ehemaligen Chef der Hell´s Angels geht, auch ein "stone fucking coward". Ein steinefickender … na ja, ein Feigling halt. Außerdem war Thompson Journalist, studierte gar an der Columbia University und trug seit den späten sechziger Jahren einen schmucken, aber falschen Doktortitel. Einen Highschool-Abschluß hatte Thompson auch nie gemacht, zur fraglichen Zeit saß er eine Jugendstrafe wegen bewaffneten Raubüberfalls ab. Nach Jahren journalistischer Fronarbeit und erfolgloser Schriftstellerei geriet der schreibende Hillbilly aus Kentucky in die aufblühende Acidhead-Kultur von San Francisco. Thompson nahm die Drogen und verwarf den Rest: "I've never believed in that guru trip; you know, God, nirvana, that kind of oppressive, hipper-than-thou bullshit. I like to just gobble the stuff right out in the street and see what happens." Ähnlich entwickelte er seine Artikel. Er stellte sich selbst in der Mittelpunkts seines Schreibens, mied Objektivität als langweiliges Gesellschaftsspiel saturierter älterer Herren, ließ sich eher von Intuition und Assoziation als von Fakten leiten und war – wie er selbst oft genug betonte – dabei dicht bis in die Haarspitzen. Weil es gut klang, nannte er seine Schreibe "gonzo journalism" und entwickelte sie zu einer florierenden Marke. Seinen Durchbruch hat Thompson 1964 mit einem Buch über die Hell`s Angels erlebt. Er war fasziniert von der archaischen und amoralischen Freiheit der Rockerbanden, war angezogen von Gewalt und Orgien. Er schrieb über seine Angst, als er die herausgerissenen gegnerischen Zähne am Gürtel der Angels baumeln sah, aber auch darüber, wie er eben diese Leute mit LSD versorgte, um zu sehen, was sie damit anfangen würden. Thompson war ein leidenschaftlicher Prophet des Zerfalls und der Verwüstung, eine Zusammenarbeit mit ihm schwierig bis unmöglich und doch ließen sich zahlreiche Redakteure immer wieder auf das Wagnis ein. Thompson, erinnerte sich jüngst einer, verstand jeden Rechercheauftrag als Einladung zu einem Totalabsturz auf Redaktionskosten. Seine wilden, drogengeschwängerten Reisen wirkten chaotisch und zufällig, doch immer endeten sie zielgenau im windstillen Auge des Orkans gesellschaftlicher Verwerfungen. Von dort berichtete Thompson in starker und unbarmherziger Prosa. Nicht einmal jahrelange Drogenexzesse konnten dem eleganten Stilisten etwas anhaben. Seine Epigonen haben das nie verstanden: Thompson war brilliant, obwohl er Drogen nahm. Nicht deswegen. Thompson war eine genuin amerikanische Figur. Ein Ultraindividualist, der die politische Linke und die Hippiekultur beinahe ebenso liebevoll haßte, wie er die puritanische Rechte verachtete. Thompson war ein lebenslanges Mitglied der National-Rifle-Association und gut mit dem reaktionären Pat Buchanan befreundet. Gleichzeitig beschimpfte er jede republikanischen Regierungen von Nixon ("evil bastard") bis Bush jr. ("goofy child-president") mit einer Renitenz und Hingabe, die Michael Moore wie einen windelweichen Kompromissler aussehen läßt. Ein Auftrag der Zeitschrift "Sports Illustrated" führte ihn 1971 nach Las Vegas, dort sollte er über den Mint 400, ein Motorradrennen, schreiben. Zusammen mit seinem Freund, einem übergewichtigen Anwalt und veritablen Psychopathen, unternahm er jene Reise, die ihm die literarische Unsterblichkeit sichern sollte. Ein paar zugedröhnte Tage in Las Vegas und eine verpaßte Reportage verdichtete Thompson zu einer amerikanischem Version der Reise nach Petuschkin, einer drogeninduzierten Hallizunation über den amerikanischen Traum. Zwar lehnte "Sports Illustrated" den Artikel ab, aus den Notizen aber erstellte Thompson sein berühmtestes Buch: "Fear and Loathing in Las Vegas". Zuletzt schrieb er fast nur noch für die Sportseite espn.com, aber auch dort ließ er sich keine Zügel anlegen, berichtete gleichermaßen über Football, den elften September und den verhaßten Präsidenten. In der Nacht zum Sonntag, den 20. Februar 2005, hat sich Hunter Stockton Thompson in seinem Haus in der Nähe von Aspen erschossen. |
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