"Jenseits von Hauptsatz-Literatur": Die deutsche Literatur ist besser als ihr Ruf. Davon weiß der Kritiker Thomas Kraft einiges zu erzählen.
Dieses kleine Buch war lange überfällig in der Endlos-Diskussion darum, ob die deutsche und allgemein die deutschsprachige Literatur nicht den Anschluss an die "Weltelite" verliert. Es wird eine solche kulturelle, ja sprachliche Krise gerne herbeigeredet von den Feuilletons dieser Republik, vor allem dann, wenn diese nicht wissen, was sie sonst so schreiben sollen. Hier ist nun also die Verteidigungsschrift gegen all die Zweifler, ein Bund an lesenswerten deutschen Büchern der letzten Jahre, die sich nicht auf popelige Tagebuchschreiberei von postadoleszenten Germanistikstudenten beschränken, sondern die tatsächlich jedes auf seine Weise auch den gesamtdeutschen Alltag und seine Geschichte ein wenig übergreifend inszenieren und kommentieren.
Thomas Kraft, Literaturkritiker und Ausstellungsmacher aus München, macht keinen Hehl daraus, dass er parteiisch ist. Sein Essay hat nicht den Anspruch, einen Gesamtüberblick über die literarische Schaffenszeit in Deutschland seit Anfang der 90er-Jahre zu geben – das könnte ein solch schmaler Band auch nicht leisten. Vielmehr geht es hier um schamlose Werbung für all jene Bücher, die Krafts Meinung nach bisher zuwenig im Rampenlicht standen und die doch zu gut sind, um nur einer kleinen eingeweihten Elite als Vademecum zu dienen.
"Schwarz auf weiss" liest sich locker und leicht und macht im besten Sinne Lust darauf, die angesprochenen und mit Kurzinhalt beschriebenen Bücher, so man sie bisher nicht kannte, tatsächlich einmal zur Hand zu nehmen. Außerdem verleitet die äußerst subjektive Auswahl dazu, sich so manches Mal innerlich zu krümmen, weil man’s doch ein bisschen anders sieht (und sowieso noch so viele andere tolle Bücher außen vor bleiben müssen). Schade zum Beispiel, dass Kraft in der Rubrik der im weitesten Sinne "humorvollen" Literatur die weitestgehende Abwesenheit von Frauen beklagt, was bedeutet, dass er zum Beispiel die wunderbare Fanny Müller ums Verrecken nicht zu kennen scheint. Immerhin stehen im Index des Buches 25 männlichen Autoren acht schlagkräftige Autorinnen gegenüber, was einen höheren Frauenanteil ergibt, als man gemeinhin bei Literaturlisten gewohnt ist. Trotzdem: erst einen Männerüberschuss zu beklagen und dann die wichtigen Autorinnen einfach nicht zu erwähnen, das muss man schon einen fahrlässig verschossenen Elfmeter nennen. Oder ist’s ein Perpetuum maskuline gar?
Nichtsdestotrotz bleibt es dabei: das Buch ist wichtig und richtig. Nicht zuletzt stellt es ein Plädoyer dar für eine selbstbewusste und gerne auch subjektive Literaturkritik. Kritiker, die keine Meinung haben und dazu noch unfähig sind, diese auszudrücken, gibt es da draußen ja genug.