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August 2005 Silke Winzek
für satt.org

Birgit Vanderbeke:
Sweet Sixteen

S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2005

Birgit Vanderbeke: Sweet Sixteen

144 S., geb, 17,40 €
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Birgit Vanderbeke:
Sweet Sixteen

Birgit Vanderbeke veröffentlicht seit Jahren regelmäßig einmal im Jahr eine Erzählung im S. Fischer-Verlag. Einem Roman scheint sie sich zu verweigern. Obwohl sich die Erzählungen formal ähneln, kann man inhaltlich immer mit Neuem rechnen. Unter den Lesern hat sie eine Fangemeinde, die Kritikerschaft hat ihre Veröffentlichungen meist zwiespältig aufgenommen. Jetzt also „SWEET SIXTEEN". Der Titel ist eine Mogelpackung.

Markus Heuser verschwindet an seinem 16. Geburtstag: „Was war passiert? Der Junge war am Morgen aufgestanden, die Eltern hatten ihm gratuliert, der Tisch war gedeckt gewesen, die traditionelle Gummibärchentorte, Meks´ verzog wie immer in den letzten Jahren das Gesicht, als er die Torte sah, und weder seine Mutter noch sein Vater hätten sagen können, ob es ein gerührt ironisches oder ein leise verächtliches Lächeln war."

In der Folge verschwinden weitere Jugendliche an ihrem sechzehnten Geburtstag. Immer mehr Jugendliche tragen hellblaue T-Shirts mit der Aufschrift „Free your mind, sweet sixteen". Ein Manifest mit der Überschrift „Wir spielen nicht (mehr), Es wird Ernst“ taucht im Internet auf. Der Inhalt ist eine Abrechnung mit der Schule, den Eltern, den Politikern und den anderen Erwachsenen. Die Schulen seien zu blöd, um den Schülern Rechnen und Schreiben beizubringen, geschweige denn, worauf es wirklich ankommen würde. Die Erwachsenen würden gefakte Existenzen führen, seien bis zur Debilität entschlossen, ihr Monopol auf geistigen und physischen Schwachsinn zu verteidigen, das aus dem geschlossenen System von Jobben, Shoppen (eine Unterkategorie des Shoppens stellt der Urlaub dar) und Glotzen bestünde.
Die Politik schaltete sich ein, es werden Wurfzettel konzipiert, die Eltern von 15jährigen auf das Problem aufmerksam macht. Bestimmte Stadtbereiche werden für Jugendliche gar per Gesetz für unbetretbar erklärt. Elektronische Fußfesseln werden angeboten, mit denen Eltern den Aufenthaltsort ihrer Kinder jederzeit feststellen können. Das Buch endet mit einer Ausbruchswelle.

Der Ich-Erzähler ist stiller Sympathisant der Ausreißer. Der Leser erfährt über ihn nur, dass er in einer Trend-Forschungsagentur arbeitet und dass er schon seine Schwester für ihr Ausbrechertum bewundert hat. Hier bringt die Autorin das Sehnsuchtsmoment nach einem Aus- oder Aufbruch ins Spiel, das Buchcover spricht von einem „Aufruf zu eigenem Leben". Es findet jedoch keine Lösung statt, der Erzähler verharrt in seiner passiven Beobachtungsrolle.

Die Autorin verwendet eine einfache Sprache, berichtet fast im Stile einer Nachrichtenagentur, untermalt mit Umgangssprachlichem. Früher fühlte sich mancher Kritiker an die Satzkaskaden von Thomas Bernhard erinnert, und Birgit Vanderbeke hat zu diesem Thema in einem Interwiev gesagt: „Es ist aber auch ganz hübsch, gelegentlich Bücher zu schreiben, die aus Hauptsätzen bestehen.“ Beide Extreme finden sich im Roman nicht wieder. Der Text bedient sich einer einfachen nüchternen Sprache. Das liest sich flüssig, große Ansprüche an eine literarische Sprache erfüllt die Autorin aber nicht.

Leider gelingt Birgit Vanderbeke die Abrechnung mit der menschlichen Gesellschaft nur bedingt. Was ihr gelingt ist ein Possenspiel, die Autorin reißt die bestehenden Probleme zwischen den Generationen an: Erziehungsnotstand, Bildungsnotstand, Verfall von Werten, das Zerbrechen vieler Kleinfamilien, die Entfremdung zwischen den Generationen … In einigen Nuancen gelingt ihr eine Punktlandung auf den Gefühlen einer Generation, dann ist das Buch großartig zu lesen. Darüber hinaus bleibt vieles vage und am Ende ein unbefriedigter, enttäuschter Leser zurück, der sich betrogen fühlt, weil er Vanderbeke den Geniestreich einer Lösung bis kurz vor Schluss durchaus zugetraut hat.