Noch zu Beginn des Jahres hätte ich behaupten können, nie eine Zeile Harry Potter gelesen zu haben und auch von den Filmen nur mal irgendwann auf Premiere ein paar Minuten eines Qudditch-Matches mitbekommen zu haben. Doch nach einer mehrjährigen liebevollen Indoktrination riskierte ich im Februar irgendwann mal 5 Euro für eine Second Hand-Ausgabe von „HP and the Philosopher’s Stone“ und im steten Wechsel mit anderen Lektüren wurden mir dann alle Harry Potter-Bücher nach und nach zugespielt und bis einschließlich zum vierten fand ich auch jedes besser als das zuvor. Bei HP5 ( … and the Order of the Phoenix) hatte es Frau Rowling mit der steten Verlängerung ihrer Werke etwas zu weit getrieben, und das HP6 jetzt wieder fast 200 Seiten kürzer geriet war aus meiner Sicht schon mal eine klare Verbesserung, denn beim „Half-Blood Prince“ gibt es trotz diverser Rückblenden in die Jugend von Lord Voldemort eigentlich kaum einmal Füllmaterial, die neuen Figuren (neuer Minister, obligatorisch neuer Professor) wirken wieder homogen und nicht so überflüssig wie zuletzt Luna Lovegood und Nymphadora Tonks.
Ein junger Potter-Fan …
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Für Nichteingeweihte: Jeder Harry-Band beschreibt immer ein Jahr auf der Zauberschule Hogwarts, wobei mit dem zunehmenden Alter von Harry die Bücher auch immer düsterer werden, spätestens ab HP4 kann man wirklich nicht mehr von Kinderbüchern sprechen. War im ersten Band eine versteinerte Katze noch das Nonplusultra an Gefahren, steigt der Bodycount spätestens seit der Wiedergeburt des dunklen Lord Voldemort stetig, und in HP6 gibt es unter anderem Wasserleichen-Zombies oder einen Werwolf, der auch jenseits des Vollmonds bevorzugt Kinder frikassiert - aber, passend für eine mittlerweile 16jährige Hauptfigur, auch jede Menge Romanzen, Eifersüchteleien und Knutschorgien (expliziter als ein „vertikaler Ringkampf“ wird es bei Frau Rowling nicht …).
Schon im zweiten Kapitel, wenn der zwielichtige Professor Snape Besuch von zwei Death Eaters (= Anhänger von Lord Voldemort) bekommt, deutet sich an, daß in diesem Schuljahr die Zensuren nicht annähernd so wichtig wie das Überleben ist, und auch Harrys gleichaltriger Todfeind Draco Malfoy zeigt in diesem Band, wie faustdick er es hinter den Löffeln hat. Es gelingt ihm sogar mal in relativ nonchalanter Weise, Harry kampfunfähig und mit gebrochener Nase zurückzulassen.
Beim titelgebenden „Half-Blood Prince“ handelt es sich um einen mysteriösen Schreiberling, der in einem schuleigenen Lehrbuch für Zaubertränke Verbesserungen an den Rand geschrieben hat, und Harry, der mit diesem Fach eigentlich schon abgeschlossen hatte, weil er bei seinem „Lieblingslehrer“ (not!) Snape nie viel Erfolg hatte, wird mithilfe dieses Buches plötzlich zum Musterschüler, so daß sogar Hermione zähneknirschend hinter ihm zurückbleibt. Daß Harry auch mal einen in diesem Buch eingeschriebenen Fluch ("für Gegner") ausprobiert, obwohl er keinen Schimmer über die Folgen hat, gehört zu den schockierendsten und fatalsten Stellen des Buches, das auf den ersten 500 Seiten zwar auch viel Anlaß zum Lachen gibt - aber auf den letzten hundert Seiten ist es mit dem Lachen dann vorbei. Es gab tatsächlich einen „Kritiker", der sich darüber aufregte, daß HP6 nicht so „abgeschlossen“ sei wie die ersten fünf Bände, doch ganz abgesehen davon, daß es sich bei einem auf sieben Bände angelegten Mehrteiler geradezu anbietet spätestens beim vorletzten Band mal einen Cliffhanger einzubauen (dieser Versuchung konnte Mrs. Rowling widerstehen), bin ich der Meinung, daß der sechste Band viel stärker als jeder Band zuvor einen Abschluß bildet. Nun beginnt auch für mich die lange Zeit des Wartens auf HP7 (2007 / 2008?), aber da in HP6 viele alte Handlungsfäden zusammengeführt wurden und man jetzt ziemlich genau weiß, wie Harry den Endkampf gegen Voldemort vorbereiten muß (es würde mich nicht wundern, wenn der letzte Band auch der dickste wird), weist alles daraufhin, daß die sieben Bände vor allem (ähnlich wie die eigenen Schulerinnerungen) zusammenwachsen werden, und das ist meines Erachtens der größte Verdienst von HP6.