Substantive, und das verlorene Subjekt
Zbigniew Kruszynski wurde 1957 in Radom geboren, 100 Kilometer südlich von Warschau. Er studierte und lernte den Job eines Journalisten, was zur damaligen Zeit ein Pro- oder Kontrajob der kommunistischen Linie sein konnte. Die Chronik Randoms verzeichnet für das Jahr 1976 einen Arbeiteraufstand, den die polnischen Sicherheitskräfte standesgemäß beendeten, und der junge rebellische Zbigniew begab sich in den Untergrund, wurde für seine Solidarnosc-Aktivitäten zwei Jahre inhaftiert und zog noch Schweden. Schweden war einfacher, weil der Vorhang zum Westen noch nicht offen war und das Meer mit seiner natürlichen Grenze leichter zu bezwingen.
Erzählungen verkaufen sich nicht so gut, sagen die Verleger, es sei denn, man ist schon berühmt. Über heimatlichen Ruhm kann der literarische Außenseiter Kruszynski heute nicht klagen, er bekam mehrere Auszeichnungen, darunter den renommiertesten polnischen Preis Nike 2004, und wird gerne mit Olga Tokarczuk, Magdalena Tulli und Andrzej Stasiuk in einen Topf geworfen. Das gewählte Exil ist Ausgangspunkt, wird Sprachrohr der polnischen Art und Weise, die überall Zuhause ist und weiß Gott woher ihre Wurzeln hat, man verlegt die Schauplätze, gibt den Kindern andere Namen, schon ist Polen weder verloren, noch weit weg.
Kruszynski, Beobachter der akribischen Sorte, bemerkt Dinge, die zwar den Alltag prägen, jedoch oft nicht richtig beachtet werden. Gleich die erste Erzählung „Zu Lande und zur See“ zeichnet eine Pedanterie, die uns furchtbar Deutsch vorkommt: Ein Mann notiert akkurat Kennzeichen und Verweildauer der Falschparker, er hat ein Notizbuch, ein Revier, festgelegte Arbeitszeiten und erklärt uns plausibel warum er das tut.
Dieses Buch beinhaltet 10 Erzählungen, „Minitraktate“, die dem Ruf folgen, der Autor sei Meister der sogenannten „linguistischen Prosa“, was man positiv gesehen, durchaus befürworten kann. Die literarischen Figuren suchen nicht, sie haben eine Identität und berichten mit Feingefühl und liebevollem Spott auf ihre eigene, zum Teil kuriose Weise, von der Gesellschaft des modernen Polen.
Das Leben ist überwiegend banal, des Autors Blick hält der Banalität stand. Seine Panoramen stehen zur Wirklichkeit, verzichten auf das Crescendo, bergen keine Überraschungen, halten lediglich fest. Man weiß nie so recht, wo Kruszynski anfängt oder und wo der Held aufhört - Souvenirs: Rosen für Anna oder die Frage: „Wer bin ich? Ein alter Schriftsteller voller Angst, ich weiß, dass die Jugend mich nicht Meister, sondern alter Knacker nennt.“
Hingegen beklagt der Ex-Zensor in „Errata“ die Sprache und sinniert: „Wem tut es leid um die detaillierten Beschreibungen an Stellen, an denen man weiß, wie ein Ding aussieht, und es reichen würde, es beim Namen zu nennen, damit die Form sichtbar wird …“
Zbigniew Kruszynski legt Wert auf ausführliche Beschreibung – die Fahrt im Zug, das Begräbnis, plus Rückblick auf zwei Herzinfarkte eines Parteifunktionärs der seinen Idealen erlegen ist, wie der Bettler, der als Zeitzeuge den Augenblick der Straße einfängt. Die Protagonisten sind alle irgendwie gestrandet, herausgefallen, haben sich an den Stock der Zeit geklammert und kommen weder aus, noch in ferne exotische Länder, was man dem Titel des Buches irrtümlich ablesen könnte, es sind stoische Realisten – Lehrer, Werbetexter zum Beispiel – die Palette der Verlierer eines Landes, das sich nach dem Fall des kommunistischen Regimes kapitalistisch orientiert hat.
“Jan und Anna“ führt uns zurück ins Polen der 70-er Jahre; überhaupt ist Anna (die Person?) ein winziger Name, ein schmaler Faden der dauernd die Geschichten kreuzt, mal hier und mal da, scheinbar belanglos und unzusammenhängend. Während die polnische Subkultur längst eine junge Dorota Maslowska (23) mit ihrem Vorstadtroman „Schneeweiß und Russenrot“ feiert, ist Kruszynski für sein Alter spät dran, doch sein Buch „Zu Lande und zur See“ wurde bei seinem Erscheinen 1999 als bestes Buch des Jahres ausgezeichnet. Nun liegt dieser Band deutsch übersetzt vor, und wie der Autor „In Dichters Lande“ fragen lässt, was eine Übersetzung sei, gibt er gleich die Antwort: „Das ist ein Rückzug, der die Literatur hinausdrängt, sie auf den Status einer Variante reduziert, einer mörderischen Beliebigkeit, man braucht nur zwei konkurrierende Übersetzungen ein und desselben Textes zur Hand zu nehmen.“ Esther Kinsky ist es so flüssig gelungen, dass man es gerne fürs Original halten könnte.