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Januar 2006 | Christina Mohr für satt.org |
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Almut Klotz und
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Almut Klotz und Rev. Christian Dabeler: Aus dem Leben des Manuel Zorn Ventil Verlag 2005 221 S., 14,90 € » amazon |
Auch der Ort des Romangeschehens - Berlin – ist die zur Zeit einzige denkbare Kulisse aller "geistreichen Generationenbücher", "witzigen Szenebeobachtungen" und "augenzwinkernder Selbstkritik" und mit welchen anderen Attributhäufungen der sogenannte Poproman, geschrieben von verwirrten Mittdreißigern, noch so bedacht wird.
Aber im Leben des Manuel Zorn ist alles anders: der Roman spielt im Berlin der nahen Zukunft, was bedeutet, dass es keine science-fictionhaften Fantastereien gibt, sondern eine beinah unmerkliche Veränderung im Gang ist, die sich nur an winzigen Details festmacht. Eine der zwar noch nicht existenten, aber durchaus vorstellbaren Neuheiten ist zum Beispiel die "Agentur für Schlüsselszenen", in der sich die beiden Protagonisten (beziehungsweise Antagonisten) begegnen. Der eine, Peter Winsky, beschließt zu Anfang der Geschichte, sich fortan als Manuel Zorn auszugeben, der andere klaut sich Winskys Namen – die Verwirrung löst sich bis zum Ende des Buches nicht auf, es bleibt unklar, wer wessen Identität wofür benutzt. Auch die Abgrenzungen Gut – Böse lassen sich nicht ohne weiteres erkennen, und der Schluß verwirrt die Leser vollends. Hat man die letzte Zeile gelesen, blättert man unsicher zum Anfang zurück, "hab ich was überlesen, den entscheidenden Hinweis verpaßt?" – Nein, hat man nicht, die Auflösung der Identitäten (von Charakteren traut man sich sowieso kaum zu sprechen) ist ein Kunstgriff, den Klotz und Dabeler virtuos ausspielen. Die Figuren - sofern es zwei sind – agieren spiegelbildlich, beide werden in Affären mit mysteriösen Frauen verstrickt, Dreh- und Angelpunkte sind dabei die Wohnung von Zorn/Winsky und die bereits erwähnte Agentur, die von einer faszinierenden Dame namens Porsche (die aber einen Saab fährt) geleitet. In dieser Agentur werden Szenen geprobt und aufgeführt, die von Menschen in Auftrag gegeben werden, denen die Erinnerung an ihre Vergangenheit abhanden gekommen ist. Die Szenen werden wieder und wieder gespielt, bis der Klient/Kunde zufrieden ist und sich erinnern kann. Dabei kann das winzigste Detail für das Scheitern oder Gelingen der Szene verantwortlich sein – schon eine minimale Kopfdrehung des Darstellers in die falsche Richtung bringt das Erinnerungsgebäude zum Einsturz, die Geschichte wird nicht zu der des Auftraggebers.
Manuel Zorn ist aber nicht nur ein philosophisches Verwirrspiel, sondern auch ein Thriller: häßliche Dinge passieren, die sich nur zum Teil auf den offensichtlichen Wahnsinn oder die Einnahme chemischer Substanzen des doppelten Winsky zurückführen lassen. Derjenige, der auf grausame Weise tötet, ist auf der Suche nach einem Zustand, den er in Farben ausdrückt: Dinge, Menschen und Situationen sind gelb, rot oder blau: "Ich wachte auf und alles war so richtig geil gelb. Ich konnte nicht lange geschlafen haben, denn sie lag wach neben mir und rauchte. Sie war das Gelbe, wie sie da so nackt lag. Wirklich schön im Zwielicht. Vor allem wartend. Das sagt einem doch das Gefühl, ob jemand neben einem wartet oder nicht. Also alles wunderbar gelb. Nur ich offensichtlich nicht."
Sprachlich elegant und kompositorisch perfide ist Manuel Zorn ein Pageturner allererster Güte, man muß sich nur im Klaren sein: Nichts ist sicher.
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