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März 2006 Silke Winzek
für satt.org

Paul Auster:
Die Brooklyn-Revue

Rowohlt 2006

Cover

352 S., 19,90 €
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Paul Auster
„Die Brooklyn Revue“

Paul Auster ist eine feste Größe im Literaturbetrieb, mittlerweile ist er fast 60 Jahre alt, wohnt in Brooklyn und ist mit der ebenfalls erfolgreichen Schriftstellerin Siri Hustvedt verheiratet. Die Hauptfigur seines aktuellen Romans ist der frühpensionierte Versicherungsvertreter Nathan Glass. Er steht am Beginn eines neuen Lebensabschnitts, der sein letzter sein könnte. Nach einer akuten Krebserkrankung ist die vollständige Heilung noch ungewiss. Die Beziehung zu seiner Frau ist endgültig gescheitert, seiner einzigen Tochter hat er sich entfremdet. Er zieht nach Brooklyn, dem Ort seiner Kindheit, mit dem Gedanken, dass es ein guter Ort zum Sterben wäre. Hier lebt er vollkommen isoliert und verbringt seine Tage damit, das „Buch der menschlichen Torheiten“ zu verfassen, es soll eine Sammlung von allen Blamagen, Peinlichkeiten, Idiotien und Albernheiten enthalten, die er in seinem Leben begangen hat. Später will er dazu übergehen sämtliche Torheiten der gesamten Menschheit aufzuschreiben.

Dann trifft er unerwartet seinen Neffen Tom wieder, den er vor Jahren aus den Augen verloren hatte, nachdem seine Schwester, Toms Mutter, gestorben war. Tom, der damals ein Erfolg versprechender, junger, dynamischer Mann mit Aussicht auf eine große berufliche Kariere war, begegnet ihm nun als desillusionierter, übergewichtiger Studienabbrecher. Dann tritt Lucy, die Nichte von Tom, ein zehnjähriges Mädchen, auf den Plan, auch diese Familienbande war jahrelang unterbrochen. Toms Schwester, Lucys Mutter, Aurora ist zunächst verschollen. Nathan rettet sie später unter dramatischen Umständen vor ihrem fanatisch-religiösen Ehemann. Am Ende geht es allen gut: Tom heiratet, Aurora hat eine Geliebte und Nathan frischen Lebensmut, eine Freundin, einen neuen beruflichen Lebensinhalt und die Beziehung zu seiner Tochter ist wiederhergestellt. Kurz gesagt: Alles ist zu schön, um war zu sein. Die endgültige Seifenoper vermeidet der Autor, indem er den Roman am frühen Morgen des 11. September 2001 enden lässt.

Austers Figuren sind Gescheiterte, sie liegen am Boden und haben die Wahl, liegen zu bleiben oder sich aufzuraffen und irgendwie weiterzumachen. Und das tun sie auch, denn Auster ist ein Optimist in Reinkultur. Alles endet bei Auster immer irgendwie gut. Wer zu Beginn eines Romans von Auster etwas anderes für möglich hält, hat noch nicht viele Erfahrungen mit ihm gesammelt. Sein Optimismus entspricht nicht dem Zeitgeist – mit seinen positiven Romanen schwimmt Auster gegen den Strom und macht es sich schwer, als ernsthafter Autor anerkannt zu bleiben. Wenn man sich allerdings dem Anspruch all zu großer Realitätsbezogenheit verschließt, kann man mit dem Roman eine nette Zeit verbringen. Auster ist der große Märchenerzähler aus Brooklyn, seine Geschichten sind immer von leichter Hand erzählt, er ist der geschickte Konstrukteur verwobener Geschichten. Die „Neue Zürcher Zeitung“ hat das sehr treffend beschrieben, indem sie Auster als „Dirigent einer mächtigen Musik des Zufalls“ bezeichnet hat. Das Leben ist unvorhersehbar, es kann gut gehen, man kann Pech haben und beides findet oft unabhängig von den eigenen Bemühungen statt. Wenn das Buch eine Botschaft übermittelt, dann wohl diese: Löse dich von dem Irrglauben, du könntest die absolute Kontrolle über dein Leben erlangen und genieße die Entlastung, die diese Einsicht in sich birgt. Auster selbst hat diese Lehre in seinem beruflichen Werdegang gezogen, er musste sich lange als erfolgloser Autor durchschlagen. Jetzt ist er erfolgreich, auch wenn die Qualität seiner Arbeiten sich nicht verändert hat.

Charakteristisch für Austers Werke ist auch seine besondere Beziehung zu seinen Figuren. Ihn als Woody Allen der Literaturszene zu bezeichnen, trifft es zum Teil. Beide teilen die echte Zuneigung (fast Zärtlichkeit) für ihre Figuren. Allen geht allerdings weiter als Auster – er liebt sie bis in die letzte Faser inklusive aller Ecken und Kanten und er offenbart ihre kuriosen, dubiosen, zweifelhaften, zwiespältigen Seiten schonungslos und trotzdem bleibt die Zuneigung des Regisseurs für seine Protagonisten in jeder Szene spürbar. Anders bei Auster: Hat er eine Figur ins Herz geschlossen, scheint er seinen Blick vor den Brüchen in dessen Charakter zu verschließen bzw. er ist ängstlich bemüht, die Kehrseiten des Charakters vor dem Leser zu verstecken. Er präsentiert seine Figur von der besten Seite, wie eine Mutter, die ihr Kind für einen Auftritt herausputzt. So entsteht Oberfläche, wo man sich Tiefgang wünscht.

Der Roman behandelt ein tabubesetztes Thema. Nathan hatte Krebs, das wirft ihn aus der Bahn, letztendlich findet er sein Gleichgewicht zurück. Auster erzählt diese Geschichte auf seine Weise, das heißt kein Grübeln über die Erkrankung, kein Seelenstrip, keine innere Nabelschau, sondern schlichtes Verdrängen, Ausblenden und Ablenken sind die Mechanismen, die Auster seiner Figur an die Hand gibt, um mit der Situation klarzukommen. Die Dramatik der Situation spiegelt sich nur in Nathans Verhalten wieder, das von totalem Rückzug geprägt ist. Man könnte Auster vorwerfen, dass er es sich zu einfach macht, und die Chance vertan hat, das Innenleben eines Krebspatienten zu beschreiben. Auster hat sich dagegen entschieden, er ist sich treu geblieben in seiner Art, „leichte“ Romane zu schreiben, selbst wenn es um so heikle Themen wie Krebs geht. Das ist kein Verbrechen und er hat Erfolg damit.