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März 2006 Ní Gudix
für satt.org

Frank Bröker:
BAR WARS

Morgana Press Leipzig 2005

Hegel goes Punk und zurück:
Frank Brökers Cut-Up-Roman BAR WARS

Es ist wirklich respekteinflößend, wenn man sich vergegenwärtigt, was unser Dandy Bröker so alles leistet: für die Leipziger Szenegazette Morgana schreibt er Artikel und Kolumnen und führt Interviews; mit seinem Co-Barden Makarios hat er gerade das neue Russian-Doctors-Album fertiggestellt und wird damit ab Februar wieder auf Tour sein; seine Zeitschrift "härter" feiert dieses Jahr zehnjähriges Jubiläum und kommt daher als Prachtedition heraus und mit BAR WARS legt Bröker nun sein viertes Buchopus vor. Und zwischen den Ritzen, das darf man nicht unerwähnt lassen, kommt er immer mal wieder zu Lesungen und Solokonzerten vorbeigeweht.

Die paar Zuschauer, die es am 20. Dezember 2005 ins Kaffee Burger in Berlin zum Punk-and-Spunk-Abend geschafft hatten, kamen schon mal in den Genuß einer exklusiven Vorab-Darbietung aus sowohl der neuen TRD-Scheibe als auch aus BAR WARS. Gut, daß ich da meine Dienstknarre auf dem Lesetischchen liegen hatte; denn BAR WARS ist tödlich.

Ich mag Brökers Schreibe. Seine Journalistenschreibe ist mir manchmal zu gedrechselt; aber seine belletristische Schreibe, seine Liedtexte, Gedichte und seine Prosa, ist gut gebaut und hat kein Wort zuviel. Die Bilder sind oft absurd, aber die Sätze sind klar. Er schwurbelt nicht, er schwätzt nicht, er trendspricht nicht. Und dieses hypermorphe Flirren dazwischen, dieses kühle Schwirren der Negation, das tut richtig gut.

BAR WARS ist ein Cut-Up-Roman. Ich halte eigentlich nichts von derlei trendfixierten Etikettierungen – sie werden zu oft auf etwas geklebt, was sich als auf der Höhe der literarischen Zeit präsentieren will - "letzter Schrei", "ultimatives Genre" - und dann ist es doch nur geistlos zusammengeschlurpster Teer. Und außerdem vergißt man darob, daß das, was man da mit dem frischerfundenen Wort schmückt, nicht geboren ist, sondern halt nur umgetauft wurde – Cut-Ups gab es schon vor "Naked Lunch", Cut-Ups sind verschriftlichte Collagen; auch Döblins "Berlin Alexanderplatz" ist ein Cut-Up. Oder die Kirke-Episode in Joyces "Ulysses".

Das aber nur als Einleitung. Nein, BAR WARS ist kein Geschlurpse, dazu ist Bröker zu intelligent. Und ich ahne auch, was da so alles zerschnitten wurde: einige alte "härter"-Ausgaben vielleicht, alte Gedichte, einige Exemplare Morgana (Brökers eigene Kolumne dort, "Logbuch Leipzig", lacht mich aus mehreren Stellen heraus an) zusätzlich zu Werbebroschüren, Käse- und Wurstblättern, TV-Journalen und Schicksalsgazetten. Manchmal kommt es mir so vor, als wären auch Shakespeares King Lear, Büchners Woyzeck und Dionysos mit von der Partie; wird wohl auch so sein, denn das ist ja das Geniale an dieser Sorte Geistesprosa: es steht alles drin, man muß nur die Kunst beherrschen, sie richtig zu lesen. Man hat das Recht, seine Grütze wandern zu lassen, denn darauf baut ja das ganze Buch; Grützebarrieren wie Plot und Protagonistentum gibt es nicht mehr, der Plot ist das Hier und Jetzt gemischt mit den Hypermorphismen früherer Geister, und die Protagonisten sind fluktuierende Proteusse: Miss Brauch, Fango & Tango, Kara, die Liebesnymphe, Paul, der Junkie, Hegel, Kant, Huxley, Britney Spears und Georg Heym und viele mehr treiben ihre Unwesen. Und mittendrin Bröker, open-minded, Fluppe in der Flappe und Sonnenbrille auf der Nase, zwischen Leipzig und Berlin, und auch die alte Tante Münster taucht gelegentlich wieder auf.

Es geht in BAR WARS um den altbekannten Krieg zwischen den Welten – ja, gut gegen böse; aber so sagt man das nicht, bzw. so einfach ist es nicht. Progressiv gegen regressiv hieß es bei unseren Eltern; Negation kontra Affirmation sagen die Hegelianer und "richtiges Leben im falschen". Aber wo fängt das eine an und hört das andere auf? Das Leben ist ein Spiel, ja – aber was für eins: ein "play" oder ein "game"? Was ist "links"? Was hat dieser "ganze Gegenkulturschrott, mit dem sich viel Geld verdienen läßt" (Kap.1), noch mit "links" zu tun? Die Kultur in der Kommunikationsgesellschaft ist hauptsächlich Verdummungsindustrie; sie besteht fast nur aus Ausrufezeichen. "Nur Antworten und keine Fragen. Nur Flaschen und keine Öffner. Nur Huxleys Türen und keine Schlüssel. Nur Henry Miller und kein Sex. Nur Weichteile und keine Knochen" (Kap. 28). Nur Laberflaschen, Weicheier, Neurotiker mit verbaler Inkontinenz. Wir brauchen Negation, Fragezeichen. "Die höchste Form der Verweigerung ist das Schweigen" (Kap. 25). Huxley bescherte uns den Terror der Normalität; auch zur Sinnsuche mithilfe von Drogen trug er bei. Und daran hängen weitere Rattenschwänze: die Dialektik der "Freiheit" etwa, die der "Aufklärung", die der "Zivilisation". Das Motiv des Getriebenseins ("Faustian restlessness"), die Dialektik der "Bürgerlichkeit" – was ist denn nun eigentlich "spießig"? Ist Familie wirklich eine reaktionäre Illusion genauso wie das Auf-die-Rente-Sparen? -, das Motiv des Außenseiters, des Outlaws ("Ich war immer einer von denen, die ihr vermieden habt. Nie einer von denen, die ihr sein wolltet. Eigentlich ein Fremder", Kap. 11), Eros, Thanatos und Agape und die Frage nach der Location der konkreten Utopie. Nein, diese Fragen sind nicht beantwortet worden, auch wenn es manchen Zeitgenossen so scheint; sie stehen im Raum, nicht erst seit 1968, sondern seit mindestens dreihundert Jahren. Old Hegel kam nie um; Sartre, Marcuse, Adorno, Lacan hielten ihn wach, und die diversen Subkulturen auch, die Maulwürfe der Kultur, die "Phönixe aus den Aschenbechern". Zuletzt trug Hegel einen Irokesenschnitt; den hat er nicht mehr, denn wenn was Trend wird, ist es keine Negation mehr. Aber Punk bleibt Punk; auch Rimbaud blieb Punk. Im Vergleich dazu, daß in BAR WARS all diese Fässer geöffnet werden, ist es ein wirklich schmales Bändchen – umso besser. Universum im Sandkorn. Buchpremierenparty ist am 17. März bei der Leipziger Buchmesse.