Thomas Kapielski ist im Literaturbetrieb eine singuläre Erscheinung. Doch der Weg des 1951 geborenen Charlottenburgers zu den Lesermassen war lang und entbehrungsreich: Selbstverlag, Arbeitsamt, Armut. Erst Ende der neunziger Jahre gelang Kapielski mit seinen „Gottesbeweisen“ im Merve Verlag und dem Auftritt beim Klagenfurter Wettlesen der Durchbruch. Als großer Stilist und Humorist und auflagenstarker Kultautor nennt man ihn heute im selben Atemzug mit Eckhard Henscheid und Max Goldt. Kapielski schaut uns zigtausendfach von den Plastiktüten des Zweitausendeins-Verlags an und seine Bücher werden in den Sachbuchspalten der Feuilletons gelobt. Die Welt ist schön und gerecht.
Thomas Kapielski ist ein Multitalent, der in vielen künstlerischen Sparten tätig ist. Er musiziert mit dem „Genialen Dilletanten“ Frieder Butzmann und dem Original Oberkreuzberger Nasenflötenorchester, er knipst verwundete Autos und traurige Müllkörbe, er produziert Objekte, Collagen und Gemälde und war von 1998 bis 2004 Dozent für „Spiel, Bühne und Performance“ an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Thomas Kapielski, so West-Berlin wie der Checkpoint Charlie, steht Künstlern wie Martin Kippenberger oder Werner Büttner nahe – sein Schaffen ist oft eine Meta-Kunst, die auf originelle und ironische Weise die Bedingungen ihrer Entstehung und Rezeption thematisiert. Kapielski grölt auf CD a cappella ein Kneipenschlagermedley, er verewigt seine Buchcover als Ölbilder und präsentiert in einer Ausstellung, die vollständig im Dunkeln gezeigt wird, einen Kühlschrank, den er so umbauen ließ, daß er nur bei geschlossener Tür innen beleuchtet war. Sein jüngstes Kunsterzeugnis heißt „Gesamtluftwerk“ und besteht aus dem Taschenbuch „Anblasen“, einem schwarzen Schuber und einem dazu gehörigen aufblasbaren Objekt, das sein gedrucktes Werk neben- und teilweise aufeinander angeordnet darstellt, nebst Luftpumpe. Das „Gesamtluftwerk“ ist auf dreißig Exemplare limitiert und kostet 1.800 Euro, der Merve-Band „Anblasen“ ist zum Leserglück auch einzeln und für wesentlich weniger Geld erhältlich.
Gesamtluftwerk |
In dem Buch zum Werk erzählt Kapielski u. a. die Entstehungsgeschichte des „Gesamtluftwerks“: Der Kunstsammler Aldo Frei forderte ihn auf, eine Kunstbuchedition herzustellen. Kapielski glaubte, daß in diesem Bereich bereits alles schon ausprobiert wurde – etwa von Dieter Roth, der eine zwanzigbändige Werkausgabe von Hegel in Schnipsel zerkleinerte und in Wurstdärme abfüllte, oder von Richard Olson, der ein an beiden Seiten gebundenes und mit Rücken versehenes Buchobjekt herstellte –, bis ihm in der Kneipe beim Anblick einer riesigen aufblasbaren Bierflasche die entscheidende Idee heimsuchte: „Man merkt ja sofort, ob ein Einfall ein besonderer, ein solitäres Bravourstück ist, und dieser war so eines! Allein die symbolischen, konnotativen Nebengeräusche! Das Aufgeblasene, da rankt sich doch meine ganze Kunsttheorie dran auf. Dazu dieser gute Schuß Selbstzweifel. Wer ist gefeit vor Bluff und Blase?“ Das Buch mit dem Untertitel „Texte zur Kunst“ bietet daneben zahlreiche Anekdoten zum Kunstbetrieb, berichtet über unrealisierte Projekte, bietet vier Interviews – viele Themen wird der Kapielski-Kenner wiedererkennen, das tut dem Vergnügen aber keinen Abbruch, vielmehr erfreut er sich an der Variation und Wiederholung und an den vielen Bonmots wie jenes über die Künstler: „Feiern können sie! Die guten jedenfalls. Ihr Gewicht aber besteht bestenfalls aus Leichtsinn.“ Es besteht kein Zweifel: Kapielski ist ein Guter.
Erstveröffentlicht im Tagesspiegel vom 16. April 2006.