„Krung Thep bedeutet Stadt der Engel, aber wir sind auch mit Bangkok zufrieden, wenn uns das hilft, einem farang das Geld abzuknöpfen,“ sagt Detektiv Sonchai Jitpleecheep in John Burdett`s Thriller „Der Jadereiter“.
Routineauftrag, die beiden Polizisten Sonchai und Pichai verfolgen den amerikanischen Marine seit drei Stunden im dichten Bangkoker Verkehr, verlieren ihn kurzfristig aus den Augen, und als sie vor der Mautstelle zur Hochstraße bis auf zwei Wagenlängen an ihm heran sind, stellen sie fest, dass eine Frau zugestiegen ist, doch „die Hochstraße ist der einzige Verkehrsweg der Stadt, auf dem ein Mercedes-E-Modell einen Toyota Echo abhängen kann“, und so fährt Sonchai „ohne Hoffnung und Hast“ weiter und bekommt später über Funk mitgeteilt, dass der Wagen unter der Dao Phrya Bridge entdeckt wurde. Von der Frau keine Spur, und um Schultern und Hals des schwarzen Marines hat sich eine Python gelegt, die gerade beginnt seinen Kopf zu verschlingen. Zudem befinden sich mehrere unter Drogen gesetzte Kobras im Auto, und beim erfolglosen Versuch das Opfer zu retten, stirbt auch Pichai - Sonchais Kollege und Bruder im Geiste.
Burdett`s Krimi ist eine charakteristische Schilderung der Prostitution, der Korruption, des Drogenhandels und der buddhistischen Religion der Thailänder. John Burdett wurde 1951 in Southampton geboren, studierte Literatur- und Rechtswissenschaft und siedelte 1982 nach Hongkong über, wo er als Anwalt arbeitete. Dann fing er an zu schreiben, und nach dem Erfolg seiner Bücher „Eine private Affäre“ und „Die letzten Tage von Hongkong“ ging er nach Spanien und Frankreich und lebt heute wieder in Hongkong.
Wer Bangkok als gewöhnlichen Touristenort zu kennen glaubt, der bekommt mit diesem Buch tiefe Einblicke darin, warum die Metropole funktioniert: wie Zahnräder greifen Kauf und Verkauf ineinander, korrupte Polizisten gehören zum Alltag, ebenso das Geschäft der bezahlten Liebe und des Drogenhandels.
„Wenn man mit einem Stock in den Schmutz drischt, verteilt man ihn nur.“
Gemeinsam mit der FBI-Agentin Kimberly Jones beginnt Detective Sonchai die Ermittlungen und antwortet unverblümt auf die Frage, was er zu tun gedenke, wenn er den Mörder seines Kollegen und Bruders Pichai zu fassen bekommt: „Ich werde ihn umbringen.“ Und: „Der Buddhismus stößt an seine Grenzen, wenn es um die Ehre geht.“
Einerseits ist Sonchai ein „Arhat“, ein „Würdiger“ der keine Bestechungsgelder annimmt, ein zutiefst gläubiger Buddhist, der schon mal zur Meditation greift und sich vorstellt, welche Leben einer bereits hatte und welche ihm noch bevorstehen, und deshalb im Netz der Machtstrukturen ganz unten hängen bleibt. Andererseits ist sein Quartier ein Wohnloch ohne Fenster, er trinkt und konsumiert Yaa-Baa, die „verrückte Droge“, die ihm gleich vor der Haustür angeboten wird. Kimberly Jones, seine vom FBI zur Seite gestellte Agentin, anfangs schockiert von der Vorgehens- und Lebensweise des thailändischen Detektivs, will nur den Millionär und Jadehändler Sylvester Warren dingfest machen: eine U.S.amerikanische Persönlichkeit die in höchsten Kreisen verkehrt und selbst bei der Royal-Thai-Police größte Protektion genießt, der neben den Geschäften niederste perverse sexuelle Parties mag, sogenannte „special jobs“, und über die es ein geheimnisvolles Videotape gibt. Zwar ist dieser Warren daheim einigen U.S. Senatoren ein Dorn im Auge und spielt im Mordfall des Marines Bradley eine zwielichtige Rolle, aber er bleibt vorerst ungeschoren. Jones: „Er zahlte Toppreise für Mädchen, die zu ihm kamen, aber die wollten alle kein zweites Mal mehr.“
Sonchais Chef, Colonel Vikorn, stinkreich und darum so käuflich wie irgendeine Prostituierte auf der Pat Pong, entwickelt sich immer mehr zur Schlüsselfigur. Und mittendrin Fatima, ehemalige Weggefährtin des U.S.Marines, eine Frau halb Thai, halb afrikanisch, deren Legende allmählich geklärt wird.
Kriminalistische Logik made in USA, seitens der FBI-Agentin, und thailändische Ermittlungsmethoden eines sinnierenden Detektivs finden einen Nenner; die Handlung des Krimis wird spätestens nach Lüftung der wahren Identitäten Fatimas und Sylvester Warrens ersichtlich; das ist kein Schwachpunkt, denn der Roman lebt mit der Zwiespältigkeit westlichen Denkens sowie deren östlicher Exotik, und allmählich begreift Kimberly Sonchais Vorgehensweise, sie kapiert zum Beispiel auch, warum eine gewisse Sorte Männer nach Bangkok kommt: „ … plötzlich ist die Aussicht, allein ins Hotel zurückzukehren, abschreckender und unmoralischer, praktisch ein Verbrechen gegen das Leben, als der Verkehr mit einer Prostituierten.“
Nebenbei berichtet Sonchai szenenhaft über seine Vergangenheit: während des Vietnamkrieges als Produkt eines amerikanischen GI`s zur Welt gekommen, die Mutter avancierte zur Nobelprostituierten, verbrachte er Dank zweier europäischer Freier unbeschwerte, leider zeitlich begrenzte Aufenthalte in Frankreich und Deutschland. Aber groß geworden ist er im Distrikt 8 mit seinem Freund Pichai, der einen Yaa-Baa-Händler tötete. Die Konsequenz war nicht das Gefängnis, sondern die von ihren Müttern durch Käuflichkeit vermittelte Alternative : „ … entweder im Kloster oder im Stricherdasein enden.“
Also gingen die beiden ins Kloster, meditierten, wurden „Arhats“ und schließlich Polizisten. Gute Polizisten, von denen sich „jeder Distrikt eigentlich nur einen leisten wollte.“
Das Buch, das mehr einer Milieustudie gleicht, um kulturelle Unterschiede und den Glauben zum Buddhismus zu erklären, folgt weniger dem gewohnten Genre eines Thrillers, es schildert interessant den organisierten Jadehandel, blickt hinter die Mauern des berüchtigten Bangkoker Knast Bang Kwan und gibt Aufschluss darüber, warum Thailand weltweit führend in der plastischen Chirurgie ist. Schuld und Sühne werden höchst spirituell beleuchtet, sowie „ … jene Thai-Fragen, auf die man nicht notwendigerweise in diesem Leben eine Antwort erwartet …“
Der Autor kennt das Land, er lässt westliche auf östliche Mentalitäten treffen, und in seinen Anmerkungen zum Schluss sagt er: „Die thailändische Sexindustrie hat einen geringeren Pro-Kopf-Anteil an der Bevölkerung als die in Taiwan, auf den Philippinen oder in den Vereinigten Staaten. Dass sie trotzdem bekannter ist, liegt möglicherweise daran, dass Thais sie nicht so verschämt verstecken wie die meisten anderen Nationen.“