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Oktober 2006 Hartmuth Malorny
für satt.org

Lisa Moos: Das erste Mal und immer wieder. Autobiographische Schilderung einer Prostituierten.
Schwarzkopf & Schwarzkopf 2005

Cover

256 S., 19,90 €
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Lisa Moos:
Das erste Mal und immer wieder
Autobiographische Schilderung einer Prostituierten

Lisa Moos, zwanzig Jahre lang als Prostituierte in Edelbordellen und Kaschemmen unterwegs, gab ihren Körper für Geld her, manchmal umsonst, besonders während der Phasen, die sie zwischen der harten Realität des Geldbeschaffens und des Vergessens und der Liebe umhertaumeln ließ. Nur eines tat sie während dieser Zeit nie, sie gab sich selbst nicht auf, im Gegenteil, sie schloss sogar ihr Studium erfolgreich ab: „In meinem Leben habe ich circa sechstausendmal sexuelle Handlungen jeder Art mit Männern vorgenommen. Fünfmal wurde mir Gewalt angetan, davon zweimal in meiner eigenen Familie.“

Die biographische Schilderung einer Prostituierten erreichte im Februar dieses Jahres die siebte Auflage, das sind gut 75 000 verkaufte Exemplare. Dergleichen wurde vieles verfasst, oft standen Lektoren und Co-Autoren zur Seite, doch Lisa Moos schrieb das Manuskript eigenhändig, mit schriftstellerischem Stil und Verve, suchte einen Literaturagenten, und dieser bot das Buch dem Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf an, und dort zögerte man keinen Augenblick.

Wer ist diese Frau, die klar bekennt: „Viele meiner Entscheidungen habe ich emotional getroffen ( …) Es ist schon komisch, dass nun alle wissen, was ich im Bett so mache, aber ich kann damit leben.“ Lisa Moos, 1968 in Göttingen geboren … Den Rest ihrer 20-jährigen Prostituiertenkarriere erzählt die Autorin bisweilen distanziert, oft erschreckend sensibel, hin und wieder abgeklärt, und man kann das Buch kaum zur Seite legen, weil jedes Kapitel erneut die Frage stellt: Wie geht es weiter? Muss so ein Leben nicht zwangsläufig in der Gosse landen - alt, verarmt, hässlich geworden und von den Freiern verschmäht? Es sei ein faires Geschäft, resümiert sie heute, Geld gegen Sex.

Die ersten sechs Seiten beginnen fast harmlos im Edelclub „Champagnerkelch“: Eine Hure bedient noble Kundschaft, vor dem Sex wird geduscht, saubere Zimmer, gute Bezahlung, familiäre Atmosphäre. Zugegeben, die ersten Seiten verklären das Bild, man erwartet lüstern die Beschreibungen verschiedener Sexpraktiken, leicht vulgär, also dem Gusto der heutigen Literatur entsprechend, man erwartet eine unterhaltsame Lektüre. Doch bereits das zweite Kapitel schlägt wie eine Axt zwischen Idylle und harte Realität: Lisa Moos, gerade elf Jahre alt, wird von „Opa Hans“ brutal vergewaltigt. Und die Axt des Lebens schlägt erbarmungslos zu: der geliebte Vater stirbt viel zu früh, die Mutter erkrankt an Krebs, das Mädchen wird erneut vergewaltigt und lässt mit fünfzehn Jahren abtreiben. So beginnt es oft, das Abgleiten in ein Schattendasein, die Jugend und die Schönheit scheinbar auf ewig gepachtet, das locker verdiente Geld, der Luxus inmitten einer schäbig konservativen Dorfgemeinschaft, die Rebellion, das Unverständnis und die Sehnsucht nach Liebe schließen den Kreis, und das machte Lisa zur Hure. Für solch eine junge Frau ist ein gesellschaftlich geachteter Mann, der sie anfangs liebevoll behandelt, schon der Märchenprinz, der sie heiratet, schwängert, das Interesse an ihr verliert und sich bald darauf ihrer besten Freundin hingibt.

Das nächste Kapitel. Kommt es schlimmer? Ja. Die Mutter längst sterbenskrank, Lisa alleingelassen mit dem Kind, das Jugendamt im Nacken, die Ehe zerrüttet. Und das ist erst der Anfang dieser Autobiographie. Wieder der Taumel zwischen Prostitution, dem Geld verdienen und „phasenweise Männer, ausdruckslose Typen die man überall findet ( …) nicht einer von ihnen interessierte mich wirklich“, und sie wurden zum Fluchtpunkt, dem latenten Wunsch nach Geborgenheit und der Liebe eines Mannes.

Hier und da ein wenig Licht am Horizont, spendable, ja sogar einfühlsame Freier und mal floriert das Geschäft, manchmal zerbricht es, wird zur Seite gelegt, wieder aufgenommen von der Frau, die sich mit sozialen Missständen nicht zufrieden gibt. Mal stapeln sich Rechnungen, dann das verdiente Geld: „Gründe, warum sich Frauen und Mädchen prostituieren, gibt es sicherlich unzählbar viele. Jede hat ihre eigene Geschichte, ihre eigene Qual, oder ihre eigene Hoffnungslosigkeit in sich.“

Lisa Moos wird abermals schwanger, von einer Theken- und Liebesbekanntschaft namens Stefan, der sich, unwissend darüber, einfach dünne macht, sprich, zur Fremdenlegion geht. Das erste Kind Steffen beanspruchen mittlerweile die Schwiegereltern und das Jugendamt, das zweite Kind Christopher hält die Mutter eisern fest. Demütigung und Restriktion treffen aufeinander, Geborgenheit und Glück bleiben verwehrt. Und man kann noch tiefer sinken, in die Grauzone, wo sich Männer mit Gewalt nehmen was sie wollen, ohne zu bezahlen. Es ist ein Wechselbad, dieses Buch, Höhepunkte und bodenlose Erniedrigung lösen sich einander ab.

Huren verkaufen Jugend, also einen jungen und schönen Körper, sie sind Genuss für den männlichen Trieb und mit ein paar Banknoten einfach zu bekommen. Offiziellen Statistiken nach betreiben alleine 400.000 Personen in Deutschland dieses Gewerbe. Ihre Dienste werden eine Million Mal täglich beansprucht. Man erfährt von der Arbeit in billigen Clubs, wo sich die Mädchen auf einer Drehscheibe präsentieren, langsam ausziehen und Männer hinter Glas Taschentücher vollwichsen: „In der Tat, ich ließ nichts anbrennen. Ich fühlte mich vom Leben bestraft und gedemütigt und zahlte es, wem auch immer, zurück. Am meisten mir selbst.“

Szenenwechsel. Lisa Moos siedelt auf eine spanische Insel über. Nimmt ihren zweiten Sohn Christopher kurzerhand mit. Zeit für ein Happyend? Nein. Käuflicher Sex ist keiner Landesgrenze unterworfen und funktioniert überall nach wirtschaftlichen Aspekten. Bleiben die touristischen Freier aus, wird es eng. Christopher ist noch zu jung um zu wissen, wie seine Mutter das Geld verdient, beide pendeln zwischen mediterranem Flair und Deutschland, während der kleinen Auszeiten und der Ferien, ständig mit dem Gedanken sesshaft zu werden. Zuerst bietet sich der Autobiographin die Chance die verwahrlosten Häuser zu pachten, in denen sie ein verkommenes Zimmer zum Zwecke des Anschaffens bewohnt; sie investiert, renoviert, richtet her, steckt Geld hinten und vorne rein und bleibt, wegen Missgunst und Neid der Kolleginnen, auf einem Haufen Schulden sitzen. Solche Passagen offenbaren das Innerste ihrer Seele, eben aus Gründen sozialer Aspekte, die man bei einem Freudenmädchen selten erwartet.

Zurück zur spanischen Insel. Nach schlechten Tagen und der Sehnsucht, ihren Sohn bei sich zu haben, diesmal der Versuch aus dem Milieu auszusteigen: sie eröffnet ein Restaurant. Man ahnt, denn das Buch ist noch nicht am Ende, es wird ein Flop. Ein Kreis ist ein Kreis, etwas in sich geschlossenes. Aber Fehler zu machen sind die Summe eines Lernprozesses. Nun dreht Lisa den Spieß um, sie bleibt nicht länger Spielball der Lust, sie avanciert zur Domina. Die Männer liegen ihr sprichwörtlich zu Füßen. Und bezahlen gut, zum Beispiel dafür, dass man sie in einen Stall sperrt und wie ein Schwein hält. Oder: Baby-Spiele.

Zum Schluss meldet sich die Liebe ein weiteres Mal zu Wort: „Und während ich so da lag, mit nacktem, verschwitztem Oberkörper, den Slip irgendwie verknotet und klitschnass an den Knien, mit einer Hand Buchstabe für Buchstabe ins Handy tippend, mit der anderen die Flüssigkeit an den Innenseiten meiner Schenkel verteilend, wusste ich, ganz gleich wie er aussah: Ich liebte ihn schon!“

Und er liebte sie, in gänzlicher Harmonie, denn Lisa Moos war kein Teenager mehr; so jedenfalls das Kredo des letzten Kapitels „Stille Hoffnung“. Hoffnungen sterben nie. Das Ende ist ein fast liebesvolles Ende, eine weitere Periode nach der Suche des persönlichen Glücks. Jedes Leben, jeder Mensch, so hat auch dieses Buch drei Seiten - man muss sie lediglich richtig deuten und imstande sein Gewalt und Sex, Ehe und Einsamkeit, Prostitution und Muttergefühle zu verstehen. Oder wie Pythagoras bemerkte: „Man sollte Schweigen oder Dinge sagen, die noch besser sind als das Schweigen.“