Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen



November 2006  

Ariane Grundies:
Am Ende ich

Kein & Aber 2006

Ariane Grundies: Am Ende ich

160 S., 16,90 €
   » amazon

Erstveröffentlicht in:
Bücher Magazin
Bücher 6/2006


Anzeigen:

Werbung für Bella Triste 19

Ariane Grundies:
Am Ende ich

Arianes Sehnsucht nach der See
von Jost Kaiser

Literarisches Fräuleinwunder? Wider Willen:
Ariane Grundies sind solche Zuschreibungen zuwider. Überhaupt: Sie verabscheut Klischees. Und entlarvt in ihrem Romandebüt auf einmalig lakonische Art das ständige Palavern gegen die Stille, den Klangteppich der Republik.

Ariane Grundies’ Welt ist zurzeit grün, mit einem blauen Band drin und vielen Containerschiffen drauf. Es ist nämlich so, dass das grüne Otterndorf an der Elbmündung eine Stadtschreiberin beschäftigt und dass Grundies, 27, Autorin des interessantesten Romandebüts in diesem Herbst und Wahlberlinerin das Meer liebt. In Berlin mag die gebürtige Stralsunderin nur die Seen vor der Stadt. Deshalb findet sie jetzt im Nordseebad Otterndorf ihre Geschichten, die sie im Gespräch so prächtig serviert: Gerade ist im Otterndorfer Hafen ein Krabbenkutter gesunken. Die Polizei will einen zweiten Radarwagen anschaffen, worüber es Streit gibt. Und dann gibt es da noch den Johann-Heinrich-Voss-Preis für Literatur. Vorsitzender der Jury: Stefan Aust. Preisträgerin war dieses Jahr Sarah Kirsch, die Laudatio hielt Ulrich Wickert. Grundies war auch eingeladen. »Am Ende hat sich Sarah Kirsch auf meine Brille gesetzt« – Grundies zeigt die Brille mit Sprung im Glas. »Die werde ich für immer behalten.« Dann hat auch der Sparkassendirektor noch eine Rede gehalten. »Und der hat dann der Giro, äh Jury gedankt, und diese 100.000 Männer in Anzügen und die arme Sarah Kirsch dazwischen.« Ariane Grundies freut sich über solche Geschichten, und es hat nie den Anschein, als wolle sie sich über das Provinzielle lustig machen, ihr geht es nur darum zu sagen: So ist es da. Darüber hinaus denkt man sich dann auch: Ulrich Wickert, Stefan Aust, der Sparkassendirektor und der Streit um den neuen Radarwagen: Das ist Deutschland. Otterndorf ist überall. Und das ist irgendwie auch Ariane Grundies Thema. Denn ein bisschen Otterndorf ist auch in Grundies' neuem Roman »Am Ende ich«. Es geht um einen altklugen, geschwätzigen jungen Mann, um Lutz, der seinen Zwillingsbruder Max in Verdacht hat, die im Wachkoma Mutter lag, umgebracht zu haben. Am Ende ist aber alles ganz anders. Und zwischen Anfang und Auflösung geht es um allerlei Verstrickung in der engen Familie, um Ausbrüche und deren Scheitern. Und dann geht es auch noch um den ganzen Quatsch eines leeren Alltags, um die Wonnen und Gefahren des Coca-Cola-Trinkens, ums Handballspielen und – als Gipfel der Leere – um Kommunismus als Beispiel für eine Art Privatphilosophie, deren Weisheiten die Tante des Ich-Erzählers unablässig im Munde führt, beim Abspülen, beim Essenmachen, beim Kaffeetrinken, und die über all den leeren, alten, verbrauchten Sätzen völlig das Leben, ihr Leben übersieht. »Politik findet in der Familie statt«, sagt Grundies. Die Politik in »Am Ende ich« ist ein ständiges, leeres Palavern gegen die Stille. Es wird unablässig gesprochen, denn, wie der Ich-Erzähler am Anfang sagt: »Das große Nichts, das wartet. Mit dieser Erkenntnis lebt es sich entschieden leichter.« Es scheinen alle gegen die Leere ansprechen zu wollen, Ich-Erzähler Lutz, seine Tante. Das ist manchmal enervierend, oft komisch, immer trefflich beobachtet. Und es endet schließlich anders als erwartet.

Während Ariane Grundies das erzählt, sitzen wir am Rand von Berlin, am Wannsee. Ariane Grundies trägt eine Sophie-Scholl-Frisur. So was ist ungewöhnlich in Berlin, dieser Stadt der uniformierten Nonkonformität, genauso wie die Vorliebe für das Wasser. »Obwohl ich seit über drei Jahren in Berlin lebe, fühle ich mich hier überhaupt nicht zu Hause und fahre sehr oft weg. Ich mag Berlin, aber mir fehlen ein Hafen und richtige Schiffe. Ich finde, das gehört zu einer Stadt«, erzählt Grundies. Und ihr Ton sagt: So ist es. Das ist keine Wertung, nur eine lakonischen Feststellung. Berlin – keine Stadt! Grundies nerven Klischees. Klischees wie das literarische »Fräuleinwunder«, unter dem Kritiker sie mit anderen Autorinnen unter dem Titel »Leipziger Schule« gern zusammenfassen, weil sie am dortigen Literaturinstitut studierte. Klischees über den Osten, mit dem sie sich der Meinung einiger Kritiker nach nicht genug beschäftige. So lebt der »Osten« als literarische Kategorie nun – und nur – in den Köpfen der Rezensenten fort, die ihn so am Leben erhalten, obwohl er bereits verstorben ist, so wie in Grundies' Buch die Tante Silvia den Kommunismus beim Teekochen am Leben erhält: als Gequassel. Nicht mal das Nacktbaden, angeblich eine Ossi-Spezialität, pflegt Grundies jetzt, wo sie da oben an der Nordsee die Gelegenheit hätte. »Nacktbaden? Ja – aber nö. Ich mag viel lieber Wind und Angezogensein.«