Stefan Heuer:
favoritensterben
Heuer ist ein Ja für Lyrik
Hin und wieder sollte man Gedichte lesen. Es sind die unlauteren Popsongs.
Der nüchterne Blick Stefan Heuers macht mitunter trunken. Darin liegt ein Widerspruch, aber darin liegt auch die Wahrheit. Stefan Heuer schreibt sehr selten „ich“, etwas häufiger „dich“ und meistens schreibt er sehr „dicht“ über unsere Welt, die ganz die seine ist. Aufgezeichnet im Lyrikband „favoritensterben“, der gerade im Münchner yedermann Verlag erschienen ist.
Man kann, darf, sollte sich auf dieses Buch mit seinen 56 Gedichten einlassen, dann offenbart sich einem ein sehr eigener und differenter Blick des Dichters auf Irrsinn, Leichtsinn und vielleicht auch Tiefsinn unserer modernen Gesellschaft. Das alles bewerkstelligt Heuer, geboren 1971, in der Nähe von Hannover lebend, mit großem Feinsinn und einer erstaunlichen Beobachtungsgabe. Aber auch mit einem Humor und einer Überzeugungskraft, die nachwirken. Stefan Heuer ist leise, wird lauter, verstummt. Er hinterlässt seltene Bilder mit Doku-Charakter, er geht dahin, wo Schmerzhaftes gerade anfängt.
„wenn die sonne explodiert bleiben / acht minuten“. Zeit noch für z.B. folgendes: „das letzte make up, ein walzer / leiser furz als letzte handlung“. Noch nie in einem Gedicht, nicht einmal im wahren Leben fand ich einen Furz jemals so anrührend.
„nun fallen die kastanien auch nachts / von den bäumen“. Und so sammelt Stefan Heuer die kleinen Dinge, die nicht jeder sieht. Er erhellt uns das Dunkel ein wenig, aber er erhält uns das Dunkel auch, denn spätestens in der letzten Zeile eines Gedichtes ist er schon wieder weg und beobachtet bereits auf irgendeiner anderen Seite „fische die schweben / und sei es in höchster gefahr“.
Heuer lockt den Leser fast durchgehend mit kurzen Gedichten, aber die haben es in sich, schließen selten einen Kreis, sondern führen fort. Ich habe anfangs geschrieben, man kann, darf und sollte sich einlassen auf diese Texte. Wahrscheinlich muss man das sogar, sich einlassen, damit man wirklich drin sein kann. Das ist hier anders als beim Poetry Slam, bei dem man umzingelt wird mit dem, was man kennt und das einen letztlich nur dadurch erstaunt, dass man darüber noch lachen kann. Stefan Heuer setzt nicht auf das Altbekannte, er setzt auf volles Risiko, um Alltag und jüngsten Tag zu beschriften. Da macht es mir dann auch nicht ganz so viel aus, dass mich so manche Metapher zwischen die Augen traf, weil sie so aus heiterem Himmel kam, dass ich sie nicht ganz einsehen konnte. Aber das sind Risiken und Nebenwirkungen, die der Arzt dem Apotheker als Bären aufbindet. Man darf zeitgenössischer Lyrik etwas abverlangen und man darf sich auch wundern dürfen.
Über ein Gedicht wie „zum ende der spielzeit“ (das längste im Band) beispielsweise. Dieses enthält neben Assoziationsreichtum, Vielschichtigkeit und trauriger Schönheit auch mein Erstaunen. Es wäre nicht angebracht, jetzt eine Passage daraus zu zitieren, hinterlässt es doch als Ganzes den Eindruck eines Orchesterwerks. Wie überhaupt beim mehrmaligen Lesen des Buches sich eine Melodie ans Ohr heftet, weil Herr Heuer das so will. Er beherrscht sein Handwerk. Er übernimmt die Verdichtung des Schreibens, die Verrichtung des Lesens ist die Aufgabe, die jetzt noch zu verteilen bleibt.