Deutschsprachige Lyriker
des 20. Jahrhunderts
Bücher über moderne Lyrik, über zeitgenössische gar, sind rar. Deswegen ist jede Veröffentlichung dieser Art erst einmal gutzuheißen. So auch der umfangreiche Band „Deutschsprachige Lyriker des 20. Jahrhunderts“, herausgegeben von Ursula Heuenkamp und Peter Geist. Er versammelt 64 Einzel- und 5 Gruppenportraits bedeutender Lyriker des 20. Jahrhunderts, von Stefan George bis Raoul Schrott. Jedem Portraitierten sind zwischen fünf und zehn Seiten gewidmet.
Die Auswahl ist stimmig; wobei inzwischen ein breiter Konsens darüber zu bestehen scheint, wer die bedeutendsten Lyriker des 20. Jahrhunderts sind. Das gilt übrigens bis in die 90er Jahre hinein: war es doch in besonderem Maße auch die ältere Generation, die sich in den 90ern noch einmal als äußerst lebendig und wirkmächtig präsentierte, Friederike Mayröcker und Oskar Pastior beispielsweise.
Oskar Pastior ist im vorliegenden Band ein sehr instruktiver Beitrag gewidmet, verfasst von Friedrich W. Block. Leider gibt es weder über Block noch über die anderen Beiträger biographische Hinweise; hinter dem jeweiligen Namen steht lediglich der Wohnort des Autors. Das aber ist Augenwischerei, denn es handelt sich bei diesem Buch nicht um eine wissenschaftliche Publikation, bei der durch die Ortsangabe zugleich die Universitätszugehörigkeit bezeichnet wird.
Es finden sich zwar hauptberufliche Germanisten unter den Verfassern, doch auch nicht wenige freischaffende Autoren. Hier beginnt das Dilemma dieses Buches: die Uneinheitlichkeit. Leider haben die vielen Autoren mit ihren unterschiedlichen Ansätzen kein spannendes Ganzes geschaffen. Ganz im Gegenteil. Die Beiträge sind in einem Maß unterschiedlich - sowohl was die Qualität als was den Aufbau angeht - dass sich die Frage stellt, für wen dieser Sammelband überhaupt bestimmt und von Nutzen sein soll.
Die Art der Beiträge ist bunt gemischt, es finden sich sowohl Essay als auch Abhandlung und Proseminarsarbeit, häufig Mischungen aus allen dreien. Es ist bei weitem kein Lexikon, in dem man zielgerichtet nachschlagen könnte; zum einen Dichter etwa findet man viel Biographisches, zum anderen kaum etwas, bei einer Dichterin steht vor allem die Interpretation des Werkes im Vordergrund, bei einer anderen lediglich die literaturgeschichtliche Einordnung, hier beschränkt sich der Beitrag darauf, die Bedeutung des Dichters zu beschwören, dort fehlt einem Artikel jegliche Richtung.
Man findet verlässliche Übersichtsbeiträge, von Hermann Korte etwa oder Erk Grimm, daneben aber auch schlicht unsinniges Geschreibsel, zum Beispiel Antonella Garganos Beitrag über Gertrud Kolmar. Von einer „Logik der Metamorphose“ ist da ohne Erläuterung die Rede, oder es wird von einer „Fremdheit“ geraunt, die eine „deutliche, schmerzliche Spur in den Gestalten von Tiberius und Susanna hinterlassen hat“ und mit Kolmars „jüdische[r] Herkunft in Zusammenhang steht“. Warum man sich als Jude fremd fühlt, in welcher Beziehung, dass lässt Gargano offen, wie er seinen Text überhaupt nur aus Floskeln und Wendungen aneinandergeschraubt hat.
Diese Uneinheitlichkeit, die besser mit der Wendung „Kraut und Rüben“ bezeichnet ist, erheben die Herausgeber zu allem Überfluss noch zum Programm. Konzeptionslosigkeit ist hier Konzept. Dieses Durcheinander offenbart schon das Inhaltsverzeichnis. Von den 64 Einzelportraits sind drei mit einem eigenen Titel aufgeführt, die übrigen 61 sind lediglich mit dem Namen des Dichters, den sie behandeln, überschrieben. Hier scheint man wirklich nicht gewusst zu haben, was man eigentlich will. Und so weiß auch der Leser nicht, warum er diesen Band eigentlich wollen soll.