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Februar 2007
Enno Stahl
für satt.org

Zensur und Zensuren

Enno Stahl über Werner Rügemers Kampf gegen die Windmühlen der Hochfinanz.


Werner Rügemer: Der Bankier. Ungebetener Nachruf auf Alfred Freiherr von Oppenheim
Nomen Verlag, Frankfurt 2006

Werner Rügemer: Der Bankier. Ungebetener Nachruf auf Alfred Freiherr von Oppenheim

106 Seiten, 12 Euro
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Schwarze Balken in Büchern, Auslassungen, freundliche Sottisen Herrn Heines an die Zensoren - das scheint längst Vergangenheit. Denn nach dem Grundgesetz haben wir ja alle das Recht auf freie Meinungsäußerung. Jedenfalls nach dem Buchstaben des Gesetzes. Die Wahrheiten des Buchmarktes sind andere. Hier wird ausgeschlossen, was sich nicht verkauft, und da jeder Fisch einen größeren Fisch kennt, der ihn jederzeit bereitwillig schluckt, ist das beinahe nachvollziehbar.

Neu ist inzwischen, dass immer mehr Bücher verboten werden, weil sich Einzelne durch deren Erscheinen in ihrer Privatsphäre verletzt sehen. Die Fälle von Maxim Billers “Esra” und Nikolai Alban Herbsts “Meere” wurden in der Presse weitläufig diskutiert, und wahrscheinlich ist die Frage gar nicht pauschal zu entscheiden, was höher wiegt: der Schutz der Persönlichkeitsrechte, wer möchte schon, dass sein Innerstes an die Öffentlichkeit gezerrt wird, oder das hohe Gut der Geistesfreiheit.

Interessant wird es jedoch, wenn - ganz so wie im fernen Preußenstaat zwischen Karlsbader Beschlüssen und 48er-Revolution - politisch kritische Äußerungen dem Verdikt verfallen, wie im Falle von Werner Rügemers neuem Buch “Der Bankier”. Zwar reagierten durchaus einige Zeitungen darauf, jedoch blieb das Ausmaß der Debatte erstaunlich bescheiden, wenn man sie mit den oben erwähnten Beispielen rein privat motivierter Verbotsgründe vergleicht.

Rügemer beschäftigt sich in diesem Buch mit dem unlängst verstorbenen Kölner Bankier Alfred Freiherr von Oppenheim, Teilhaber der größten europäischen Privatbank. Rügemers zunächst als offener Brief verfasster, nach dem Ableben Oppenheims als “Ungebetener Nachruf” publizierter Essay ist tatsächlich einigermaßen persönlich gehalten, aber in der Summe geht es doch darum, die Praktiken einer Bank zu dokumentieren, die in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist, was ganz im Gegensatz zu ihrer wahren wirtschaftlichen Bedeutung steht.

Dass bereits auf Basis der Vorankündigung des Buches eine Berliner Anwaltskanzlei eingeschaltet wurde, die im Interesse der Hinterbliebenen und der Bank-Verantwortlichen die Veröffentlichung verhindern sollte, ist schon erstaunlich. Ohne Kenntnis des Buchinhalts, ja, bereits bevor auch nur das Manuskript vorlag, stellte die Kanzlei Schertz Bergmann Autor und Verlag Strafanzeigen in Aussicht, bombardierte den Frankfurter Nomen-Verlag beinah täglich mit neuen Unterlassungsforderungen und Rechnungen. Gleichzeitig wendeten sich die Anwälte offensiv an Buchhandlungen und Barsortimente, die sie ebenfalls mit Klagen bedrohten, falls diese das Buch ausliefern sollten.

Zwar gelang es diesen entschlossenen Hütern der Persönlichkeitsrechte nicht, das Buch insgesamt zu verbieten, aber das Landgericht Berlin erließ eine einstweilige Verfügung gegen 21 Passagen, woraufhin der Verlag sich entschloss, eine Fassung auf den Markt zu bringen, in der die inkriminierten Stellen geschwärzt sind.

Dieses ausgesprochen harsche Eingreifen gegen ein Buch, dessen Inhalt noch gar nicht bekannt war, macht hellhörig und legt den Verdacht nahe, dass es womöglich doch um mehr geht als um die Persönlichkeitsrechte des Verstorbenen. Rügemer ist ja nicht erst seit seinem Buch “Colonia Corrupta” als Aufdeckungsjournalist bekannt, auch dort war bereits ein Kapitel über die Machenschaften der Oppenheim-Bank veröffentlicht, und so konnte man sich wohl denken, wes Geistes der aktuelle Text sei. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen sind noch nicht abschließend beschieden, um so mehr Grund, sich einmal damit zu beschäftigen, was Rügemer denn tatsächlich geschrieben hat.

Der Auftaktessay, der in erster Linie Stein des Anstoßes gewesen ist, prangert zwar in furiosem Ton die Doppelmoral der Herrschenden an, bietet aber - angesichts Rügemers früherer Veröffentlichungen - nur erstaunlich wenig Material. Die Mauscheleien um die Bau der Köln-Arena werden erwähnt, die Rolle der Bank in der Nazizeit wird angerissen, man vermisst jedoch die intensive Miteinbeziehung von historischen Dokumenten und Quellenmaterial, die Rügemer ansonsten so sehr auszeichnet, die seine Arbeit immer wieder gegen die Angriffe der Angegriffenen feit. Nun hat er offensichtlich Anderes beabsichtigt, denn in einer kurzen editorischen Notiz erklärt er, die Nachweise “wegen der literarischen Art der Texte” weg gelassen zu haben. Offenkundig zielte Rügemer auf eine feuilletonistisch-kritische Satire in der Tradition Heines oder Börnes. Nun stellt sich einerseits die Frage, ob dieses Genre sich wirklich für wirtschaftskritischen Aufdeckungsjournalismus eignet, der doch davon lebt, dass er hieb- und stichfeste Beweise liefert, dass er (teils auch recht nüchterne) Fakten anbringt. Andererseits muss man einen Text, der als literarischer konzipiert ist, auch mit literaturkritischen Instrumentarien bearbeiten. Dann aber kommt die Satire Rügemers doch ein wenig verbissen rüber, nicht immer ohne Ressentiment, auch der humoristische Stil ist nicht eben filigran gefügt. Es ist eine gängige Technik satirischen Schreibens bestimmte, besonders entlarvende Äußerungen wie einen “Running Gag” immer wieder aufzugreifen. Wenn Rügemer dies mit Oppenheims Satz über die Verfahrensweise der Bank (“diskret, geheimer als geheim”) tut, ist das zweimal witzig, dann aber verliert sich der Zauber. Dass er nämliche Methode noch auf weitere “Bonmots” anwendet, Oppenheims “Lieblingszeitung” (Die Welt), die Aussage, die Bank arbeite in einer “Grauzone” usw., schmälert den Effekt zusätzlich.

Auch die nächsten beiden Beiträge werfen Fragen auf. Rügemer schildert hier die Beerdigung des reichsten Kölner Bürgers im Hohen Dom zu Köln, des ersten Protestanten überhaupt, dem diese Ehre je zu Teil wurde, ein weiterer Beitrag ist gewissermaßen ein Gedankenprotokoll Rügemers an Oppenheims Grab. Es wird allerdings nicht ganz klar, was das eigentlich soll. Die Beschreibung des Gottesdienstes, der Friedhofsbesucher, die zufällig an Oppenheims Grab vorbei defilieren - das alles decouvriert eigentlich nichts. Eine Beerdigung ist eben eine Beerdigung, und dass das gemeine Volk die wahren Inhaber der Macht nicht kennt, dürfte klar sein.

Erst in den letzten beiden Aufsätzen “Vom roten zum schwarzen Filz” und “Diskrete Treuhänder. Die Bank Oppenheim” bietet Rügemer jenen engagiert-kritischen, hervorragend recherchierten Wirtschaftsjournalismus, den zur Zeit in Deutschland kaum jemand beherrscht wie er. Im Grunde entschädigt er hier für all das, was die “literarisch” angelegten Texte zu wünschen übrig ließen, nämlich eine wirklich gut und faktenreich geschriebene Geschichte der Bank Sal. Oppenheim, deren Wirken durch NS-Zeit, Adenauer-Ära und SPD-Herrschaft kurz, aber prägnant nachgezeichnet wird. Was vorher nur angerissen wirkte und nicht wirklich belegt war, wird hier explizit ausgeführt. Auf schlüssige und nachvollziehbare Weise skizziert Rügemer zudem die komplexen Bereicherungsstrategien, derer sich in diesem Lande einige wenige befleißigen, während auf die schweigende Mehrheit Kostenerhöhungen und Mehrbelastungen abgewälzt werden.

Dass sich zahlreiche Angaben mehrfach im Buch wiederholen, ist ebenfalls schade, Rügemer weist selbst darauf hin. Natürlich spricht das nicht gegen den kritischen Essayismus, sondern gegen eine literarisch “verwässerte” Spielart, die es nötig macht, Belege und Nachweise an anderer Stelle nachzuliefern.