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Februar 2007 | Sigrid Gaisreiter für satt.org |
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| Schlagschatten
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Isabel Bolton: Der Weihnachtsbaum Aus dem Amerikanischen von Hannah Harders. Schöffling 2006 Geb., 240 S., € 18,90 » amazon |
Es ist Heiligabend 1945 in New York und Hilly Danforth, geschildert werden drei Tage in ihrem Leben, ist mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt. Ihr Enkel Henry ist auf Besuch bei ihr und spielt mit Flugzeugen. Hilly gibt sich Betrachtungen über dessen Beschäftigung hin und ist entschlossen ihm ein traditionelles Weihnachtsfest zu bieten. Beim Schmücken des Baumes überkommen sie Erinnerungen an ihren Sohn Larry, der mit seinem Geliebten in Washington lebt und seinen Besuch zu Weihnachten mit einem Telegramm ankündigt. Umgehend schreibt Hilly zurück, denn sie möchte ein Aufeinandertreffen von Larry und Anne verhindern. Sie ahnt, es kann zu einer unschönen Auseinandersetzung zwischen beiden kommen, keine gute Ausgangslage für ein friedliches Weihnachtsfest, nach dem sich Hilly so sehnt. In Rückblenden läßt Bolton Mrs. Danforth in Kindheitserinnerungen schwelgen. Je näher Hilly dabei der Gegenwart kommt, desto zentrifugaler gestaltet sich das Familienleben. In diesen Passagen entwirft Bolton eine Milieustudie wohlhabender Familien an der Ostküste, die vor allem damit beschäftigt waren, ihr angenehmes Leben zwischen Salons, Pferdekutschen, rauschenden Festen und der Beschäftigung mit der Kunst, zu genießen. Arbeiter, Gewerkschaften, Elend in Massenquartieren der Einwanderer … Mehr als schwarze Farbtupfer auf einem in Pastelltönen gehaltenen Gemälde der Reichen und Schönen geben sie nicht ab.
Über die gesamte Erzählstrecke verteilt Bolton zwar Erinnerungspartikel, im wesentlichen aber dient der zweite Teil dazu, das Handeln der übrigen Protagonisten zu schildern, die sich auf den Weg nach Manhattan machen. Gleich einem Spiel mit ziehenden Figuren wechselt Bolton beständig die Szenerie zu Larry und Gerald und zu Anne und Captain Fletcher. Diese Passagen erinnern an Henry James' Technik der indirekten Charakterisierung von Personen. Man erfährt nicht viel, allenfalls aus Mrs. Danforth Nachdenken über sie und ihre Ehe, in die sie hineinstolpert, von Liebe ist kaum die Rede. Ohne das Hilly es ahnt, nur retrospektiv und von außen läßt sich der Lebenslauf aufschlüsseln, der gesellschaftliche Abstieg und damit alle folgenden Probleme haben eine lange Vorgeschichte, die, in kurze Szenen aufgeteilt, erzählt wird. Der Vater von Hilly hatte das treuhänderisch übergebene Vermögen der Großmutter ihres Mannes bei Börsenspekulationen auf eigene Rechnung durchgebracht. Daraufhin möchte Hillys Mann ihren Vater zur Rede stellen, rast aber aus Unachtsamkeit mit dem Auto in den Tod. Das Vermögen dezimiert sich beträchtlich, aber es reicht immer noch, wenn auch auf niedrigem Niveau, für ein angenehmes Leben. Das spielt sich auch im europäischen Ausland ab, aber die Familie kommt nach einiger Zeit in die USA zurück. Die einstige Großfamilie war auseinandergebrochen. Ein Konflikt mit Tante und Onkel, die fortan gemieden wurden, beschleunigte den Zerfall, es blieben Larry und Hilly, die sich gerade Gedanken darüber macht, ob sie mit ihrer Liebe ihren Sohn nicht erdrückt habe, ja, ob sie Schuld trage, dass er homosexuell wurde und die Ehe scheiterte.
Doch nicht nur die Familie brach auseinander. Der Kontrast zur Welt ihrer Kindheit und Jugend könnte größer nicht sein. Dann ist der Weihnachtsabend da und wider Erwarten taucht Larry und sein ihm nachgereister Partner auf. Sie treffen auf Anne und deren Ehemann. Meisterlich eingerichtet wurde von Bolton der Zusammenprall der fünf. Im Zentrum steht der Enkel Henry. Um ihn spielt sich ein Drama ab. Alte Verletzungen, aber vor allem Eifersucht sind der Auslöser für eine körperliche Attacke von Larry an Annes Ehemann, der, einen Schlag erhaltend, vom Balkon in die Tiefe stürzt und zu Tode kommt. Ganz verblüffend bei Bolton, keiner der Hauptpersonen weiß so recht, wann und wie alles begann. Die Kerzen werden erst gar nicht angezündet. Die Vergangenheit warf lange Schatten und Bolton zauberte daraus betörende Bilder einer ratlosen Familie.
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