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März 2007 |
| Antje Rávic Strubel:
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Antje Rávic Strubel: Kältere Schichten der Luft S. Fischer, Frankfurt 2007 192 S., geb., 17,90 € / 31,70 SFr. » amazon |
In dieser „Outdoor“-Kulisse, in dem Licht der hellen schwedischen Sonne, treten die Brüche der versammelten Biografien leicht zutage – abgebrochene Studiengänge, enttäuschte Liebschaften, Perspektivlosigkeit. Anja fällt in dieser Gemeinschaft der Deprivierten schon früh die Außenseiterrolle zu, denn sie liebt Frauen. Eines Tages begegnet ihr am Strand eine Frau in Mädchengestalt, die sich von den „Gore-tex-Leuten“ des Camps deutlich unterscheidet: statt Funktionshosen trägt sie ein helles Kleid, ihre Sprache wirkt antiquiert und manieriert, sie spricht Anja mit dem Namen „Schmoll“ an und siezt sie. „Sie sind ein kluger Junge. Sie haben die ganze Zeit gut aufgepasst.“ Anjas Einwand, sie heiße weder Schmoll noch sei sie ein Junge, gilt hier nicht. Die Faszination, die das Mädchen (sie hat keinen Namen) auf sie ausübt, ist nicht zu leugnen, und je länger und öfter sie sich treffen, desto mehr bemerkt auch Anja, wie sie sich in Schmoll verwandelt: „Ich stand vor diesem Spiegel, in einem blaugestreiften Hemd, in dem ich einen Vierzehnjährigen sah. Und es war nicht mehr albern. Es war eine Möglichkeit.“
Wer den Anfang des Buches aufmerksam verfolgt, wird überrascht von dem plötzlichen Einbruch eines sprechenden Ichs. Dieses Ich der Erzählerin Anja taucht zum ersten Mal auf, nachdem sie von dem Mädchen angesprochen wird; bis dahin entsteht der Eindruck, man habe es mit einer personalen Erzählweise zu tun. Schon hieran wird deutlich, wie ernst die Autorin die Vorstellung nimmt, dass wir nur durch Sprache existieren, und nur durch ein uns adressierendes Gegenüber.
„Es war eine Möglichkeit.“ Vielleicht ist das der Schlüsselsatz des Buches, in dem es darum geht zu zeigen, wie man durch Worte Realität erschafft, Realität in einem nicht nur rein positivistischen Sinn. Denn auch Anja verwandelt sich nicht einfach in einen Jungen. Er bleibt jedoch eine Möglichkeit, diffus, verborgen, wie eine zweite Haut unter der ersten, aber in den entscheidenden Momenten zum Leben erweckbar. Die entscheidenden Momente. Die Entscheidungen, die immer erst im letzten Moment fallen. Die Welt, die ist, was der Fall ist. Eine Möglichkeit von Tausenden.
Sieht man sich den Namen an, den Anja ihrer Lichtgestalt gibt, wird einiges klar: „Siri. Es war der einzige Name, der überhaupt in Frage kam, er begann mit S. S wie surprise, wie Schlüsselblume, Schafsgarbe, wie Spinnerei und Sehnsucht. Für mich war sie das.“ Später wird Anja klar, dass sie den Namen wie in Spiegelschrift las und er eigentlich „Iris“ heißen sollte.
I-R-I-S-I-R-I
Wo könnten da noch Zweifel herrschen, dass in „Kältere Schichten der Luft“ die Sprache die Hauptrolle spielt, die Sprache und das Licht, das irisierende Licht des schwedischen Sommers, das jede Bewegung mit einer Bedeutung versieht? „Bienen! Nein. Blätter? Oder: Ballons. Binsen. Böller! Was gibt’s noch mit B?“, sagt Siri einmal. Sie ist eine Sprachspielerin. Wozu sich auf ein Wort festlegen, wenn es doch so viele davon gibt? Hieße das nicht der Natur ihre unermessliche Vielfalt rauben? Konsequenterweise gleicht denn auch die körperliche Vereinigung der beiden eher vorsichtigem Telefonsex als wilder Kopulation. Es ist ein Spiel.
Aber nicht jeder spielt gerne mit Möglichkeiten. Im Camp taucht schon bald ein Fußball auf mit der Aufschrift „No gays“. Die beiden Frauen stehen unter Beobachtung, Anja verliert ihre Stellung in der Gruppe, sie gehört nicht mehr dazu, es kommt zu Gewalttätigkeiten. Seinen Reiz bezieht der Roman aus dem offensichtlichen Gefälle zwischen dem harschen Umgang im Camp und der Leichtigkeit, mit dem Siri und Anja (Schmoll?) ihre spinnennetzzarte Verbindung pflegen. Wir lesen eine Coming-of-age-Story, nur, dass die Hauptperson jünger wird statt älter.
„Kältere Schichten der Luft“ ist kein Buch, das man mit einem gemeinen „Lesevergnügen“ verbindet. Es verbreitet eine seltsam schläfrige, somnambule, dunkel-romantische Stimmung wie die Erzählungen bei E. T. A. Hoffmann, eine Stimmung zwischen Wachen und Träumen. Man machte es sich aber zu leicht, täte man die Geschichte von Siri und Anja als simplen Traum oder Fantasie ab: „Dann gäbe es keine Probleme mit dem Verstehen. Dann wäre ich bloß aufgewacht.“ Am Ende aber ist der Tod ein Garant für Wirklichkeit, und „Kältere Schichten der Luft“ eine hochphilosophische Angelegenheit. Strubel ist damit ein äußerst konsequentes und konzentriertes Stück Literatur gelungen. Nicht von ungefähr dankt sie am Ende auch Silvia Bovenschen, Autorin des für die Gendertheorie maßgeblichen Buches „Die imaginierte Weiblichkeit“, für ihren „klaren Blick“. Wir dagegen danken Antje Rávic Strubel für den irisierenden Blick der unendlichen Möglichkeiten.
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