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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




März 2008
Martin Jankowski
für satt.org

Neue Berliner Lyrik

Tom Bresemann: Makellos

Fragender Frühling

Nix mit „die neuen Milden“ aus Berlin, dies ist das Lyrikdebüt eines zornigen jungen Mannes - ein gewitztes Sprachkonglomerat aus Bildungsgut und Gegenwartswut: Oberseminarton trifft auf Bordsteingefluche. Und die technische Alltagssprache wird auf ihren doppelten Boden hingewiesen: „die wirklichen dinge ©“ verweisen auf „ihr zeichen“, denn „in wenigen augenblicken werden sie weitergeleitet“. In Titeln wie „All You Can Eat“ oder „relevanter realismus“ werden Gegenwartsphrasen im Vorbeigehen zu Erkenntnisquellen; sperrige Sprachbefragung statt sanft fließenden HipHop-Gedudels.

Viel Vorfrühling, viel kühles Blau, etwas wird erwartet, ist jedoch (noch?) abwesend. Man wird überrascht, spontane Gefühle entstehen beim Lesen: Der Dichter aber ringt um Nüchternheit („ein unbewachter parkplatz ist noch keine gefahr“), möchte nicht zu viel vom Leben erwarten („es tut mir leid, sie werden sterben“), doch dringt immer wieder Enttäuschung durch die Zeilen („der morgen -/ ein scheuer pittbull im blutrausch./ du weißt doch, dass man dem nicht/ in die augen schauen soll“). Ironie und Misstrauen überall, nichts ist, was es vorgibt zu sein, alles ist vergiftet, alles retro, „es geht voran, gerade/ im rückgriff“. Geniale Sätze („heute ist der erste tag seit langem“) neben lässiger Denglish-Attitüde („repeat ’til fade“) und Banalem („...jedes jahr/ auf dem kalender die hoffnung, die/ angst...“) – Zivilisationsspott, Computersprech und gelegentlicher Hölderlinklang vermengen sich zu einem nicht ganz nüchternen Blick aus dem Badfenster. Wirklich gelungen das Gedicht über das Fernweh des weißen Mannes „In die Pilze“ (...“studien im lendenschurz“). In allen Texten, in den Beobachtungen und Bildern viel Sexualität, aber kein Gegenüber. Und auch im finalen ländlichen Poem „Idyllisch“: Kein wirkliches DU, nirgends. Ein Einsamer, der wenn er DU sagt, sich selbst meint. Die sehnsüchtige Leerstelle, spürt man beim Lesen, ist gewaltig. Und man ahnt: Da kommt was... Eine belebende Lektüre, hinter deren demonstrativer Rotzigkeit man die großen Fragen atmen hört.



Tom Bresemann: Makellos
Verlagshaus J. Frank, Berlin 2007, 19,90 €
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393224589X

Denkerherz mit Dichterschnauze

Auch dieser Band ist ein Debüt, doch der Autor beileibe kein Anfänger: Als Begründer des Lyrikkreises „Die Freuden des jungen Konverters“ (aus dem auch etliche Autoren und die Verlegerin der KOOK-Familie kommen), als Herausgeber der Lyrikanthologie „Feuer bitte!“ oder als Redakteur der Lyriklounge im „Tip“ hat der gebürtige Hamburger Rainer Stolz seit Mitte der neunziger Jahre das literarische Leben Berlins mitgeprägt. Höchste Zeit, dass der umtriebige Dichter (den man 2006 auf dem Poesiefestival auf seinem Renshi-Projekt erleben konnte) seine lyrische Stimme mit einem eigenen Band zur allgemeinen Kenntnis gibt. Zum Ergebnis muss man gratulieren: Es empfiehlt sich, das Buch (knapp 140 Seiten) zunächst in einem Ritt durchzuschmökern, bevor man die einzelnen Texte dann häppchenweise genießt. Diese Lyrik ist lesbar, ohne simpel zu sein; man möchte gleich noch einmal nachlesen, um die doppelten Sprachböden genauer zu betrachten, wie bei einem guten Musikalbum: Im Zusammenklang der verschiedenen Texte erst erschließt sich, was für einen klaren, durchtrieben-durchdachten Sound Rainer Stolz mit seiner Lyrik gefunden hat.

Die Texte heißen einfach „Nussmischung“ oder „Personennahverkehr“, aber sie führen uns leichtfüßig über urbane Alltagsbetrachtungen hinaus. Es klingelt nicht nach den Lyrikmoden der Saison und doch ganz frisch und zeitgenössisch. Statt neudeutscher Jungdichtersprache und –themen hört man Großstadtdichter anderer Epochen als Echos im Hintergrund murmeln... man muss sagen: heiter. Das traut sich derzeit kaum einer. Rainer Stolz spricht von der Stadt und ihren Geschöpfen, spielt mit der Bedeutung der Worte, betrachtete dabei aber die Welt, nicht die Sprache - und erlöst so im Vorbeiflanieren die Gegenwartslyrik vom Fluch der endlosen Reflexion ihrer eigenen Instrumente (freilich ohne diese zu verleugnen). Clevere, genießbare Lyrik, die weder akademisch-bedeutungsschwanger Silben spaltet noch auf platte Lesebühnenpointen aus ist. Ein heiteres Vergnügen, Berlin hat einen neuen Großstadtdichter.



Rainer Stolz: Während mich die Stadt erfindet
Elfenbein, Berlin 2007, 12,- €
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Michael Speier: welt/raum/reisen

Verreiste Wörter

Von der tiefsten deutschen Provinz nach Berlin, über die großen alten Städte Europas bis nach Buenos Aires oder in die mexikanische Wüste führen uns die poetischen Erkundungen des Lyrikers und Weltreisenden Michael Speier. Im Dialog mit uns und einem geliebten Du ertasten seine Gedichte mit flimmernder Sprache, lässiger Wortgewalt und einer kräftigen Prise wehmütiger Ironie die Räume und Zeiten, die das lyrische Ich durchstreift. Namen für das Unbenannte finden und erfinden, sich die Welt nicht be- sondern erschreiben, die gegenseitig prägenden Zusammenhänge zwischen Reisendem und Welt in Worte fassen – das ist die Arbeit des Dichters, der uns auf diese Weise die Welt zeigt, wie wir sie auf einem Foto oder in einem Film nie zu Gesicht bekämen. So erfahren wir unter anderem „von verreisten wörtern“ und „wissenswertes über wolken“ (transatlantic), von „vulkanischen flügen“ (teotihuacán) oder dem „gott der gleichmut und der wolle“ (quasi non possidentes). Speiers Sprache nimmt den Rhythmus, nimmt die Farben und Stimmungen verschiedenster Orte und Momente auf und lässt sie gewissermaßen selbst den Text formen, gewürzt mit Assoziationen und Reflexionen des Betrachters. So entsteht eine Sammlung von unterschiedlichsten Formen und, man könnte sagen: Geschmacksrichtungen. Das überrascht immer wieder neu und immer wieder tauchen Wendungen auf, die man anstreichen will, um sie sich zu merken. Mitten in der Fremde kommt man zu sich „mit frischen kranzgefäßen querst du die kreuzung/ selber nichts als eine vorübergehende/ anordnung von molekülen“ (der himmel über meadville) „und wieder emilia/ galotti nicht gesehn dafür dich“ (teotihuacán). Denn „man begegnet sich/ aber selbst“, es ist „die ringbahn, der epische faden“, wie es in dem herausragenden Gedicht ringbahn berlin heißt.

Speier gehört gewissermaßen zu den Altmeistern der Berliner Gegenwartslyrik, „welt raum reisen“ ist, neben zahllosen Essays, Herausgaben und Übersetzungen, sein achter Gedichtband und das von ihm verlegte Lyrikmagazin „Park“ erscheint (zuletzt im November 2007) im 29. Jahrgang. Speier macht mit seinen Gedichten, diesen sprachlichen Energiebündeln, jenen „verwunschenheitszustand“ (ringbahn berlin) bewusst, mit dem wir durch die Welt gehen, ohne dass er jemals auf unseren Fotos, in den Zeitungen und Internetportalen sichtbar würde. „Die Herausforderung ist, sich verändern zu lassen.“ schreibt Ulrike Draesner im Vorwort zu diesem Band. Genau dies ist das Abenteuer, das Speiers Texte uns durchleben lassen. Seine souveräne Sprache verspricht Genuss und geistigen Zugewinn, aber ein bisschen Mühe machen die Gedichte schon. Wie eine Reise, von der man erschöpft, aber glücklich wiederkehrt.



Michael Speier: welt/raum/reisen
Aphaia Verlag, Berlin 2007, 12,90 €
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