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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




29. Mai 2008
Thomas Backs
für satt.org

„Mir geht diese Bezeichnung
'Frauenliteratur' auf die Nerven“

  Judith LiereFoto: Daniele Mattioli


„Probezeit“ heißt der zweite Roman von Judith Liere. Judith Lieres Romanheldin ist erneut Cobra, Cobra heißt mit bürgerlichem Namen Corinna Brandt. Sie ist 27 Jahre alt, hat ihr Magisterstudium in Hamburg beendet, und will nun beruflich durchstarten: In der Medienbranche, wie so viele andere auch. Ein Volontariat bei Alster-TV steht in Aussicht, aber davor muss Cobra erst einmal ein dreimonatiges Praktikum überstehen. Sie ist nicht allein, zwanzig andere Praktikanten sind ebenfalls heiß auf das „Volo“.

Judith Liere (28) arbeitet zurzeit als Dramaturgie-Assistentin am Wiener Burgtheater. Sie hat in Marburg, Florenz und Hamburg Germanistik, Theaterwissenschaften und Italienisch studiert. Die Schriftstellerin und Kolumnistin schrieb zwei Jahre lang für den UniSPIEGEL die Kolumne „Judiths Universum“, ehe im Jahr 2006 ihr erster Roman „Hit-Single“ erschien.


satt.org: Nach deinem Debüt-Roman über das Singlemädchen-Leben geht es in „Probezeit“ jetzt um das Lebensgefühl der „Generation Praktikum“. Wie ist die Resonanz auf deinen neuen Roman bisher? Gab es schon E-Mails und Post von Lesern?

Judith Liere: Ja, über meine Homepage bekomme ich so etwa fünf Mails pro Woche, die alle sehr nett sind. Am meisten habe ich mich über eine gefreut, in der mir jemand schrieb, sie habe alle ihre Freundinnen angesteckt und sie hätten einen „Judith-Liere-weiß-wie-es-uns-geht-Club“ gegründet. So was ist natürlich toll – wenn ich bestätigt bekomme, dass ich das Lebensgefühl, das ich beschreiben wollte, auch getroffen habe. Beim ersten Roman habe ich noch viel mehr Kritik und Beschimpfungen per Mail bekommen – das ist der Vorteil vom zweiten Buch, es lesen jetzt wahrscheinlich eher Leute, denen auch das erste gefallen hat. Die anderen lassen es einfach, die schimpfen dann auch nicht mehr.

satt.org: In „Probezeit“ und „Hit-Single“ steht mit Cobra eine junge Frau im Mittelpunkt. Gibt es auch Männer, die deine Bücher lesen und sich bei dir melden?

 

Judith Liere: Probezeit
Judith Liere: Hit-Single

Judith Liere: Mittlerweile sind es mehr Frauen – das war am Anfang noch umgekehrt. Auf meine Kolumne „Judiths Universum“, die ich bis 2006 im UniSPIEGEL geschrieben habe, kamen fast ausschließlich Mails von Männern. Ich freue mich über jeden männlichen Leser, der sich nicht vom stark Chicklit-spezifischen Cover abschrecken lässt. Mir geht diese Bezeichnung „Frauenliteratur“ sowieso auf die Nerven – da landet alles mit einer weiblichen Protagonistin drin, und das ist dann angeblich nur fürs eigene Geschlecht bestimmt. Stuckrad-Barre, Sven Regener, Christian Kracht und Co. werden ja auch nicht explizit als „Männerliteratur“-Autoren gehandelt.

satt.org: In den letzten Monaten scheint es für viele Menschen nur das eine Buch einer anderen jungen Frau zu geben, das ebenfalls relativ frisch in den Buchhandlungen steht. Wird „Probezeit“ dennoch gekauft und beachtet, oder hätte dein Verlag besser einen anderen Termin für die Veröffentlichung gewählt?

Judith Liere: Ach, ich habe ja immer noch die gute Hoffnung, dass Menschen auch mehr als nur ein Buch im Jahr kaufen - insofern sehe ich das nicht als Konkurrenz. Charlotte Roche spielt durch ihre Medienpräsenz und durch ihr provokantes Thema in einer ganz anderen Liga. „Probezeit“ verkauft sich jedenfalls gut, es gibt sogar schon eine zweite Auflage.

satt.org: Deine Romanheldin Cobra meistert die Hürden ihres Singlelebens und des Praktikanten-Daseins mit viel Humor. Sie könnte ja auch Frauenrechtlerin werden und sich politisch engagieren. Haben deine Romane eine Botschaft?

Judith Liere: Natürlich. Die ist vielleicht nicht auf den ersten Blick politisch, aber gerade mit „Probezeit“ ging es mir neben dem Unterhaltungsaspekt auch darum, etwas zu sagen. „Hit-Single“ spielt ja mit einem viel privaterem Thema, da wollte ich den gehypeten Mythos Onenightstand ein wenig hinterfragen. Meinem zweiten Roman liegt allerdings ein gesellschaftliches Phänomen zugrunde, das mich auch persönlich sehr beschäftigt und aufregt – die „Generation Praktikum“, die gerade im Kultur- und Medienbereich absurde Dimensionen angenommen hat. Es geht ja nicht nur darum, dass Akademikern nur noch un- oder wenig bezahlte Praktika angeboten werden, sondern auch um die Tatsache, dass viele dafür auch noch total dankbar sind. Die Werte Arbeit und Karriere haben eine derart übertriebene Bedeutung eingenommen, dass ich manchmal nur noch mit dem Kopf schütteln kann. Es ist irgendwie heroisch geworden, siebzig Stunden pro Woche zu arbeiten und es geil zu finden, auch nach Mitternacht noch Mails mit der Firmenadresse aus dem Büro zu verschicken, damit andere auch mitkriegen, wie viel man arbeitet. Ich habe kein Problem mit Engagement im Beruf, im Gegenteil, aber oft scheint es so, als ginge es gar nicht mehr darum, was man arbeitet, sondern nur wie viel. Klar hätte ich Cobra auch eine Demo gegen Praktikantenausbeute organisieren lassen können – aber ich finde diese Entscheidung im Privaten, diese „Kapitulation“ im Tocotronic’schen Sinne, viel nachvollziehbarer. Ich denke, dass gerade das Praktikanten-Problem etwas ist, das sich nur durch eine Veränderung in der Einstellung der Betroffenen ändern lässt. Solange immer noch so viele Menschen mit abgeschlossenem Studium bereit sind, dauerhaft für 500 Euro im Monat zu arbeiten und dafür auch noch dankbar sind, wird sich das auch nicht ändern.

satt.org: Deine Bücher regen Menschen zum Lachen an. „Cobra“ Wegmann war ein Highlight bei „Hit-Single“, und das fette Grinsen nach der „Vier“ auch. Sind das eigentlich autobiographische Elemente, oder sind diese Szenen frei erfunden?

Judith Liere: Da steckt viel Autobiographisches drin – vieles ist natürlich total überzeichnet, einiges aber auch abgeschwächt, weil es in Wirklichkeit so dermaßen absurd war, dass es mir keiner geglaubt hätte. Die Geschichte an sich ist aber erfunden – ich kenne leider weder einen finnischen Barkeeper noch habe ich mich in meinen Personalchef verliebt.

satt.org: Deine Romane sind bestens dafür geeignet, sie mal eben zwischendurch zu lesen und viel Spaß zu haben. Hast Du als ehemalige Germanistik-Studentin auch schon mal überlegt, das Genre zu wechseln?

Judith Liere: Nee, kann ich nicht, will ich auch nicht. Ich bin total froh, dass ich einen Schreibstil und ein Genre gefunden habe, die mir liegen, in denen ich gut bin. Ich glaube auch nicht daran, dass jeder Autor, der eher Unterhaltungsliteratur schreibt, in Wirklichkeit lieber einen zweiten „Ulysses“ verfassen möchte. Das sind einfach unterschiedliche Stile. Einen erfolgreichen Fußballer fragt ja auch niemand, ob er nicht irgendwann vielleicht mal lieber Dressurreiter werden möchte, nur weil’s eleganter aussieht.

satt.org: Worüber hat Judith Liere eigentlich ihre Magisterarbeit geschrieben?

Judith Liere: Judith Liere hat gar keine Magisterarbeit geschrieben, sondern einen Bachelor gemacht. Nach zwölf Semestern, hüstel. Ich habe, als ich gerade Schein-frei war, einen Job angeboten bekommen. Anfangs dachte ich noch, ich hole die Magisterarbeit nach, aber mir fehlte dann irgendwann einfach die Zeit und auch die Motivation. Damit ich aber nicht als Studienabbrecherin dastehe, habe ich den Bachelor gemacht, das war weniger Arbeit. Und da waren meine Prüfungsthemen: 1. Nichtsprachliche Zeichen in Tennesse Williams „A streetcar named desire“ und in Frank Castorfs Inszenierung „Endstation Amerika“ (Theaterwissenschaft). 2. Verschiedene Liebes- und Glückkonzepte in Schnitzlers „Liebelei“ (Literaturwissenschaft). 3. Mehrfachadressierungen (Linguistik).

satt.org: Nach dem Uni-Leben hat für dich als Geisteswissenschaftlerin der Arbeitsalltag bereits vor längerer Zeit begonnen. Wie lebt es sich als Wortakrobatin in der Welt der Zahlenmenschen?

Judith Liere: Da ich momentan noch als Dramaturgie-Assistentin am Burgtheater arbeite, habe ich dort mit Zahlen recht wenig zu tun, sondern eigentlich auch ausschließlich mit Sprache.

satt.org: Auf deiner Website steht unter einem Foto von Bela B. „Sexiest man alive“. Modest Mouse und Interpol laufen beide als „Beste Band der Welt“. Welche Musik hörst Du sonst so und welche CDs hast Du dir in diesem Jahr schon gekauft?

Judith Liere: Ich kaufe recht selten CDs, ich habe eher so Bands, die mich dauerhaft begleiten. Dazu gehören die oben genannten, außerdem noch so All-Time-Favourites wie Bob Dylan, Tocotronic, Arab Strap. Tatsächlich gekauft habe ich, soweit ich mit erinnern kann, in den letzten Wochen die neue Niels Frevert, Adeles Debütalbum, die neue Notwist. Und momentan habe ich einen schlimmen Ohrwurm von „Great DJ“ von The Ting Tings. Zum Ausgehen bevorzuge ich übrigens elektronische Musik.

satt.org: Kannst Du von deiner Arbeit als Schriftstellerin leben? An welchen Projekten arbeitest Du außerdem noch?

Judith Liere: Roman schreiben ist momentan eher ein Hobby, leider. Ich habe eine ganz normale 50-60 Stunden-Woche als Angestellte. Nebenbei schreibe ich noch ab und zu für Zeitschriften.

satt.org: Du bist vor einiger Zeit von Hamburg nach Wien gezogen. Wirst Du dort bleiben, oder zieht es dich zurück nach Deutschland?

Judith Liere: Im Sommer läuft mein Vertrag hier aus und dann geht es nach einem längeren Urlaub erstmal nach München, wo ich etwa ein Jahr bleiben werde. Ich suche übrigens noch ein WG-Zimmer ab November – ich spüle auch regelmäßig!

satt.org: Wird es einen weiteren Roman mit Cobra und Co. geben? Deine Heldin könnte ja zum Beispiel auswandern oder ein italienisches Restaurant eröffnen.

Judith Liere: Auswandern trifft es fast – Cobra wird eine längere Asien-Reise machen. Somit wird mein drittes Buch also ein Backpacker-Roman – oder eher ein Anti-Backpacker-Roman, fürchte ich. Aber das muss alles erstmal geschrieben werden, es gibt noch keinen konkreten Erscheinungstermin.

satt.org: Fastfood oder bewusste Ernährung? Was zieht Judith Liere eigentlich vor?

Judith Liere: Ich esse nur Quatsch. Nicht unbedingt klassisch dauernd McDonalds, aber ich schaffe es problemlos, mich eine Woche nur von Spaghetti mit Pesto rosso zu ernähren. Oder Salamitoast. Oder Brot mit Eiersalat. Ich bin eher so ein monothematischer Esser. Da ich aber äußerst selten krank bin, habe ich nun meine eigene Theorie aufgestellt, dass mir das viel besser bekommt als dieser ganze Vollwert-Quatsch. Kampf dem Tofu!



Judith Liere: Probezeit
Piper 2008, 204 Seiten, € 7,95
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Judith Liere: Hit-Single
Rowohlt 2006, 208 Seiten, € 7,90
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