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29. Juli 2008
Anne Hahn
für satt.org
Edo Popović: Kalda. Roman.
„... war ich noch immer hier, in meiner Wohnung in der zweiten Etage eines Betongebäudes im Süden Zagrebs, in dem mentalen Spalt zwischen osmanischem Reich und der k.u.k. Monarchie, wie sich der irre Igor über Kroatien zu äußern pflegte.“

Der lebensüberdrüssige Kalda steckt nicht nur in diesem Spalt gefangen. Er fühlt sich von seinem Vater vernachlässigt und vernachlässigt seinerseits seinen Sohn und seine wunderschöne Exfrau. Die Mutter ist ihm im Krieg verlorengegangen, der Job bald darauf. Kalda ist ein wenig aus der Zeit gepurzelt und die therapeutischen Gespräche mit Doktor Galin dienen mehr dem Erzählrahmen des Romans als der Heilung seiner Hauptfigur. Franz Jung hätte an diesem Helden seine Freude gehabt, denn hier wird Versagen auf höchstem Niveau kultiviert. Mit der lamoryanten Selbstbeobachtung eines Jochen Schmidt gepaart, ergibt Popovićs Schreibkunst so dramatisch wie komische Momente. „Habe ich etwas von meinem Vater gelernt? Wahrscheinlich ja, aber ich würde es nicht seiner Absicht zuschreiben.“ Aufgewachsen im Zagreber Vorort Dubrava, mit einer gleichgültigen Mutter und einem spiel- wie vergnügungssüchtigem Vater, der eines Tages auf Nimmerwiedersehen verschwindet, bleibt Kalda als Überlebensstrategie nur Zynismus.

Nach einem Monat, über den er partout nicht weiß, wie er ihn verbracht hat, besucht Kalda seine Ex-Frau Tamara, die er nicht verlassen hat. Er ist nur weggegangen. Tamara, die einer armenischen Prinzessin gleicht, hegt überraschend wenig Groll gegen unseren Helden. Sie bemitleidet ihn sogar, weil er seinem Therapeuten Schwierigkeiten bereitet:

„Ach Scheiße, sagte Tamara voller Bewunderung, bei dir geht auch nichts ohne Komplikationen. Erinnerst du dich, wie du damals zur Toilette gegangen bist und dieser Schuhschrank aus heiterem Himmel auf dich gekippt ist?
Das stimmte.
Oder als du auf dem Flohmarkt dieses Schächtelchen gekauft hast, und es war ein lebender Skorpion drin?
Auch das stimmte. Tamara kam richtig in Fahrt ...“

Die Klemme, in der Kalda steckt, bezeichnet Popović als einfrieren. Metaphorisch konstruiert leidet Kalda an der fehlenden Abnabelung zu seinem Vater, bedingt durch dessen Davonstehlen.

„Ich war an einem bestimmten Punkt meines Lebens stehen geblieben, so richtig total stehen geblieben, eingefroren... In diesem Moment also fror ich ein, als die Hebamme Tamara und mir zeigte, wie ein Baby gebadet wird und das Pflaster vom Bauch unseres Sohnes entfernte und ich seinen Nabel sah, der noch nicht verheilt war...“

Dreh- und Angelpunkt des Romans ist dieses emotionale Erfrieren, das schon im letzten Buch des Autors als Motiv durchschien. „Ausfahrt Zagreb-Süd“ nannte sich dieser „Vorgänger“-Roman (Volandt&Quist, 2006), in dem der delierende Held Baba seine Gegenwart verspielt. Inzwischen ist der Ich-Erzähler völlig auf sich zurückgeworfen, die Geliebte fort, die Freunde ebenso. Nur der irre Nachbar Igor hält zu Kalda. In kompakten Erinnerungsbildern von sanfter Schönheit entführt uns der Autor in eine ferne Kindheit und Jugend, erwachende Erotik und führungsarmes Experimentieren mit der Zukunft. In beiden Büchern, die übrigens äußerst einfühlsam und aufwendig von Alida Bremer übersetzt wurden, erzählt Popović scheinbar lakonisch die Geschichte eines sozialistischen Landes an der Adria, das über Nacht zum Kriegsschauplatz gedieh, auseinanderbrach und sich nun Neonreklame auf die Narben pinnt. Kalda arbeitete während des Krieges als Fotograf, sein Schöpfer in Realta als bekanntester Kriegsberichtserstatter Kroatiens, dessen Reportagen ebenso angesehen wie gefürchtet waren. Immer wieder blitzt im Roman der Horror durch, z.B. wenn sich Kalda erinnert, wie er mit der Kamera nach Sensationsbildern jagte und einen toten Soldaten fand, dem gerade ein Panzer über die Beine gefahren war. Ein anderer steht ratlos daneben.

„Hättet ihr nicht herumfahren können? Er sah mich entsetzt an.
Herumfahren? ... Wem können wir den denn schicken? Dir nach Hause? Willst du ihn haben? Ich kann ihn dir einpacken...“

Kalda wird, das ist bei aller Resignation deutlich, nicht draufgehen. So schnoddrig und brutal sein Autor ihn auch durchs Leben stolpern lässt, er fängt ihn immer wieder auf. Welche Überraschungen der Roman bereithält, soll hier nicht verraten werden, vertrauen Sie sich Popović an! Und dem Verlag sei zugerufen, wir wollen mehr davon!

„ Ich weiß nicht, sagte ich niedergeschlagen, aber ich fühle mich wie jemand, dem man die Haut abgezogen hat, und jetzt dringen alle Dinge von außen nach innen.
Das ist eine ausgezeichnete Nachricht, sagte Tamara.“


Edo Popović: Kalda
Aus dem Kroatischen von Alida Bremer
Verlag Volandt&Quist, Dresden und Leipzig 2008
Mit Audio-CD, 284 S., 21, 90 €
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