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2. August 2008 | Anne Hahn für satt.org |
Vielleicht waren die Vögel zu lautÜber einen phantastischen Erzählungsband der Kroatin Olja Savičević"Im Übrigen war meine Kindheit ruhig: ein leeres Blatt der Langeweile und des Wohlgefühls, das mit den immer gleichen Worten und Namen beschrieben wurde. Es war eine lange Kindheit unter schweigsamen Menschen.“ In der titelgebenden Geschichte träumt die Ich-Erzählerin von heißem Augustschnee, der niederfällt, schmilzt und sich in breite Bäche verwandelt. Ihre Sätze sind erweiterte Lyrik, ihre kurzen Geschichten schillern wie Diamanten. Olja Savičević ist eine Entdeckung, die das Herz weitet. Der Verlag Volandt&Quist hat sich entschlossen, Literatur aus Kroatien in einer griffigen Form in dickem Hardcover vorzustellen. Die Reihe Sonar wird von Christine Koschmieder herausgegeben, zu jedem Buch liegt in Verlagstradition eine CD bei, die Ausschnitte des vorliegenden Bandes zu Gehör bringt. Die ausgezeichnete Übersetzungsarbeit Blažena Radas´ sei an dieser Stelle gewürdigt! Mit Feingefühl und Sprachgewalt vermittelt sie die Intentionen einer Autorin, von der noch viel zu erwarten ist. Schon äußerlich eine Augenweide mit dem verspielten Scherenschnitt eines von Blumen umrankten Kindes, bietet der Band mit 22 Erzählungen der Mittdreißigerin leichtfüßige Einblicke in Abgründe des menschlichen Seins. In wenigen Sätzen und Bildern entwirft die Autorin Szenarien, die am ehesten an Joycés „Dubliner“ erinnern. Unerwartete Wendungen, überhöhte Phantasien und ein beinah ewiger Sommer, nur durch geträumten Schnee ein wenig abgekühlt - zeichnen die Storys aus. Sommer in den Städten, auf den Inseln und an dem Morgen, als eine junge Frau einen kleinen harten Knoten unter ihrer Brustwarze ertastet. Die Geschichte „Matinee“ hingegen beginnt im Winter. „Es war einmal eine große Bergbaustadt...“ heißt es, und damit ist schon alles umrissen. Der Bergbau wurde aufgegeben und mit ihm die Stadt, aus der alle fortzogen. Alle, bis auf die Kellnerin Jelena, die auf die Rückkehr ihrer großen Liebe Tomas wartet – und die Alten. Als es Frühling wird, finden sich die Alten in der Disktothek ein, in der Jelena Flaschen und Gläser sortiert. Sie trinken und beginnen nach Abba zu tanzen, schunkeln und lachen, man bräuchte eine Tombola! Sie feiern gleichsam einen Totentanz. Als sie fort sind, kehrt Stille ein. „Die Stadt versank in Dunkelheit, in einen geöffneten Tiegel der Nacht. Jemand sang den Mond an, ein anderer wälzte sich im Schlaf herum.“ Ergreifend ist die Beiläufigkeit, mit der sich der Krieg in die Geschichten schleicht. In „Ein Nachmittag mit Lucija Barbarić“ besucht die Erzählerin eine Beerdigung, ebendieser Lucija, mit der sie seinerzeit das Abitur bestand. Was bleibt nach zwölf Jahren von dieser Bekanntschaft, was blinkt durch die Zeit von den Zweifeln, Hoffnungen und Motiven der Halbwüchsigen? „Auf der Straße, unter ihrem Fenster waren viele Jungen auf ihren Vespas. Nie wieder später im Leben waren Jungen so schlank und schön...“ Küsst sie jetzt, fordert Savičević alle Gymnasiasten auf, „küsst so viel und zärtlich, wie ihr könnt“ „Das ist das einzige, was zählt und nie mehr, durch nichts, was noch kommen wird, kann es ersetzt werden.“ Wie kommt eine junge Frau, die 1974 geboren ist, zu solchen Sätzen? Solch sanfter Weisheit? Ist es der Krieg, der diese Kindheit beendete und ein ganzes Staatengebilde zerdonnerte? „Später aßen wir sehr cremigen Kuchen und tranken Saft in der Küche mit den gleichen orangenfarbenen Hängeschränken wie bei mir zu Hause, und die sich im Übrigen in vielen Küchen des Rest-Sozialismus befanden. Unweit von uns tobte der Krieg auch unserer Stadt entgegen, bald würde es Unterrichtsausfall und Verdunklungen geben, doch wir waren sechzehn und hörten damals das Donnern, den Aufschrein und das Aufprallen des Körpers auf den Boden nicht. Vielleicht waren die Vögel zu laut.“
Olja Savičević: Augustschnee. Erzählungen. |
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