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8. November 2008
Frank Milautzcki
für satt.org
  Durs Grünbein: Lob des Taifuns

Aus der wirklichen Welt gezoomt
Haikus von Durs Grünbein

In gleich drei Ausführungen gibt es dieses Buch von Durs Grünbein, zunächst Teile davon als kalligraphisch geschmücktes Leporello der Buchkünstlerin Veronika Schäpers, es erschien bereits 2004, dann als ledergebundene Prachtausgabe bei Suhrkamp und gleichzeitig als Bändchen der Insel-Bücherei: „Lob des Taifuns - Reisetagebücher in Haikus“. Es enthält nicht nur die poetische Aufarbeitung von vier Japan-Reisen, sondern auch ein lesenswertes Nachwort von Grünbein selbst, sowie des Übersetzters Yûji Nawata.

Ein Haiku ist ja streng genommen kein Gedicht, sondern ein in Worten gestellter isolierter Moment. Etwas, das uns Europäern nicht sehr wesensnah ist, weil wir doch immer dem Sinn und seinen Zusammenhängen in aller Vergänglichkeit nachspüren und uns jener Snobismus fehlt, den die Japaner in ihrer Kultur etabliert haben und von dem auch Grünbein spricht: die mikrointensive Pflege der Extravaganz. Japaner können sich mit einer umfassenden Inbrunst der Hege noch des Geringsten widmen und es darin zur Meisterschaft bringen, bspw. im Bonsai, dass die protzig gedüngten roten Geranienwolken an deutschen Balkonen vergleichsweise als lächerlicher Pomp wirken. Die Miniaturisierung ist ein Bild der japanischen Kultur, die vielleicht mit der Inselsituation und der kulturellen Isolation zu tun hat. Man strebt dort nach einer vollkommen anderen Klarheit, die Zeit ist kein Fluß, sondern eher eine Reihung inselhafter Momente. Es ist eher der Grashalm, der sich im Wind wiegt und nicht die ganze Wiese. Diesem Naturell entspricht das Haiku. Und es ist schwer ins Deutsche zu transkribieren, was dort geschieht. Es gibt nicht Silben, sondern Laute und die häufig dem Haiku zugeschriebene Grundregel, in drei Zeilen 5-7-5, also insgesamt 17 Silben unterzubringen, ist eine Vorschrift, die so nicht stimmt. Die japanische Sprache arbeitet mit Lauten, von denen viele untrennbare Konsonant-Vokal-Verbindungen sind, was für uns wie eine Silbe aussieht, aber keine ist. Der japanische Dichter zählt Laute, der europäische Silben. Übertragbar ist das nicht. Deshalb ist sklavische Formstrenge im deutschen Haiku ein Zahlen in falscher Währung. Was übersetzbar ist, sind nicht Handlungsanweisungen, Standards, sondern der Impuls, der zum Haiku führt und der hat immer zu tun mit der Beleuchtung eines Moments, nicht eines inneren, sondern eines äußeren. „Mir, der ich nie photographiere, schien das Haiku die günstigste Alternative zum Polaroid.“ schreibt Durs Grünbein in seinem Nachwort.

Diese Bilder und poetischen Schnappschüsse, die er von seinen vier Japanreisen mitgebracht hat, kaum mehr als flüchtige Tagebuchaufzeichnungen zunächst, wurden erst zum Buch durch das Interesse japanischer Literaturwissenschaftler an den Versuchen des berühmten deutschen Dichters. Man hat sie sogar ins Japanische übertragen, allerdings ohne sie in tatsächliche Haikus transferieren zu können, und sie, wie auch datierte Tagebuchnotizen zu den gemeinten Ereignissen, den Kurzpoemen beigestellt, die hier versammelt sind. So ist ein schon typografisch sehr aufregendes Buch entstanden, das optisch zwar der einfachen Klarheit des Haiku eigentlich zuwiderläuft, aber sich einem anderen in der Entstehungsgeschichte verankerten Urprinzip des Haikus annähert, der Installation, der Reihung in einer Kette, dem Reisetagebuch.

Grünbein setzt sich darin über einige Forderungen, die ein Haiku zu erfüllen hat, hinweg. Bspw. die Regel, nach der immer ein Wort enthalten sein muß, das einen Bezug zu den Jahreszeiten herstellt. Eine Regel, die dem Haiku stets den Status des Naturgedichtes sichern half. Sie zu übergehen, ist nur konsequent, denn Natur bedeutet in der Moderne (und bei Grünbein) „Lebensumwelt“, die nicht mehr jahreszeitlich begrenzbar ist. Es gibt die natürlichen Rhythmen noch immer, aber sie sind durchwebt und überlagert von dem Staccato der industrialisierten, globalisierten Welt. Diese Welt gilt es im Blick zu haben und für wahr zu nehmen, nicht einen durch die Tradition geforderten Ausschnitt, den man als „natürlich“ definieren könnte, weil ihm der menschliche Eingriff fehlt, der uns aber lange schon nicht mehr „natürlich“ umgibt. Zu unserer Um-Welt gehören auch Großbildschirm, Bar und Hotelzimmer, U-Bahn und Kernkraftwerk, Flughafen:

Streng überm Mundschutz
Funkeln die Brillengläser.
Gleich streicht man dich aus.

(Narita Airport bei Tokyo)

Auch verbietet sich dem Haiku-Puristen der kommentierende Vers. Der Leser soll selbst in die Zusammenhänge fallen und sich dort umschauend das poetische Blitzlicht erkennen. Aber die Zusammenhänge sind heute nicht mehr so, dass ein Arrangement, eine Situation aus relativ eindeutigen Dimensionen besteht. Das mag bei einfachen Naturbetrachtungen noch der Fall sein, aber wer die Moderne aufnimmt in den Geltungsbereich des Haiku, muß auch Hinweise gestatten, die den Beziehungskosmos genauer definieren, sonst wird es beliebig bis belanglos. Wenn das Haiku seinen Sinn behalten soll, nämlich eine Sekunde genau dort anzuhalten, wo es uns durchblitzt, dann muß man es von überlebten Vorschriften befreien. Grünbeins selbstbewusster Umgang mit der Idee des Haiku beschert uns ein Album mit Minimalsensationen (auch ein Wort, das er selber benutzt), Ereignisschlieren, mit den Sinnen des Dichters aufgenommene Stills, Polaroids, wie er sagt, die man betrachten kann ohne esoterischen Flugschein und ohne Verbannung in eremitische Stille. Das ist frisch und ungekünstelt, weil aus der tatsächlichen und nicht der idealisierten Welt gezoomt.

Natürlich sind das keine lyrischen Großtaten und Kritiker werden vielleicht „zu wenig Literarisches von Wert“ finden, dann haben sie allerdings auch etwas Falsches gesucht. Das Haiku nämlich lebt, mehr noch als das Gedicht, vom Leser selbst.



Durs Grünbein:
Lob des Taifuns

Reisetagebücher in Haikus
Insel Verlag 2008
131 S., 13,80 €
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