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5. Januar 2009 | Felix Giesa für satt.org |
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Schauermärchen„Der standhafte Zinnsoldat“ von Hans Christian Andersen ist sicherlich eines der bekanntesten Märchen des Dänen. Der Zinnsoldat sieht sich den Mächten des Schicksals hilflos ausgeliefert und muss trotz standhafter Pflichterfüllung schließlich vergehen. Dieses Symbol für das hoffnungslos dem Schicksal Ausgeliefertsein dient Mike Mignola und Christopher Golden zur Charakterisierung ihres tragischen Helden Lord Baltimore. Wie der Zinnsoldat, so muss auch Baltimore seine Pflicht erfüllen. In einem fiktiven Ersten Weltkriegsszenario wird er schwer verwundet und muss, umringt von seinen toten Kameraden, feststellen, dass sich auf dem Schlachtfeld noch andere Ungeheuer als der Feind herumtreiben. Aasfressende Vampire sind es, die auch ihn verschlingen wollen. Er wehrt sich und verwundet seinen Angreifer schwer. Es folgt ein Zeit- und Ortswechsel. Der Krieg ist mittlerweile nur noch Randgeschehen, seit die rote Pest sich über die Welt hergemacht hat. Die Autoren berichten das dazwischen Geschehene in den Erzählungen dreier Freunde Baltimores lediglich fragmentarisch. Diese treffen sich auf dessen Wunsch in einer Kneipe, keiner kennt den anderen. Um sich die Zeit bis zum Eintreffen des Freundes zu verkürzen, erzählen sie sich, wie sie Baltimore kennen lernten. Sehr artifiziell mutet das Machwerk von Mignola und Golden an. Angefangen bei der strengen Einteilung der Kapitel, welche Bezeichnungen aus der katholischen Litanei tragen. Zusätzlich geben sie gelegentlich musikalische Tempi für das jeweilige Kapitel an. Außerdem ist jeweils eine Passage aus Andersens Märchen vorangestellt. Wenn sich das jetzt mehr als überladen anhört, dann kann man den Eindruck leider nur bestätigen. Häufig passen die Titel nicht und die Passagen wirken stellenweise unpassend. Was hier im Detail stört, findet sich auch im gesamten Roman wieder. Zu viel wird beschrieben und sich in Wiederholungen ergangen. Doch das Enttäuschendste ist, dass die Sprache des Buches einfach nicht klingen mag. Sätze wie „Dieses Geschöpf besaß noch beide Augen und auf seinem Gesicht klaffte keine Narbe, die der ähnelte, die ich dem Aasfresser beigebracht hatte, der sich auf dem Schlachtfeld über mich hergemacht hatte.“ wirken ermüdend und dröge. Es ist offensichtlich, dass versucht wurde, den Ton des 19. Jahrhunderts zu treffen. Doch entweder ist es dem Autoren-Team nicht geglückt oder die Übersetzung ist unglücklich. Von den sprachlichen Schwächen jedoch abgesehen, weiß der Roman mit seiner elliptischen Erzählstruktur allerdings durchaus zu gefallen. Das Szenario der drei Männer in einer Spelunke, die sich gegenseitig ihre Gruselerlebnisse berichten, Golden spricht im Interview von „Geschichten in der Geschichte“, ist geschickt gewählt. Ein zentraler Gesichtspunkt ist sicherlich auch die Idee des niemals enden Krieges. Die (überlebenden) Soldaten nehmen die Schrecken mit nach Hause und werden die Bilder des Erlebten nicht mehr los. Diese Schrecken macht Mignola in zweifacher Weise sichtbar. Zum einen in der Allegorie der roten Pest, welche durch die Vampire verbreitet wird und sich rasend schnell ausbreitet. Und zum anderen durch die Vignetten, die er zur Illustration des Romans geschaffen hat. Die gut 150 holzschnittartigen, schwarz-weißen Zeichnungen geben Ausschnitte der Umgebung und Personen wieder, doch meist sind sie nicht mehr als eine kleine Zugabe zum Text. Mignolas krude und schattige Zeichenweise kann sich in den kleinen Bildchen einfach zu schlecht entfalten. Es ist fraglich, ob mit „Baltimore“ wirklich „ein neuer Klassiker des Vampir-Genres“ gelungen ist, wie Booklist auf der Buchrückseite zitiert wird. Allerdings hat sich New Regency bereits die Filmrechte gesichert und Mignola und Golden haben auch schon ein Drehbuch verfasst. Überzeugten Mignola-Verehrern und Anhängern des örtlichen Vampir-Kults kann das Buch sicherlich uneingeschränkt empfohlen werden. Darüber hinaus ist das Roman-Debüt des Hellboy-Schöpfers gefällig arrangierte Horror-Unterhaltung und man kann hoffen, dass bei Cross Cult der Geschmack an illustrierten Büchern geweckt wurde. Vielleicht schafft es auf diesem Weg Bernie Wrightsons illustrierte Version von Marie W. Shelleys „Frankenstein“ (1983), auf Deutsch veröffentlicht zu werden. |
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