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22. Januar 2009
Jörg Auberg
für satt.org

  Franziska Augstein: Von Treue und Verrat. Jorge Semprún und sein Jahrhundert
Franziska Augstein: Von Treue und Verrat. Jorge Semprún und sein Jahrhundert
München [C.H. Beck] 2008
381 Seiten, 24,90 Euro
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Als im Dezember 2008 Jorge Semprún seinen achtzigsten Geburtstag feierte, belieferte die mediale Zelebrationsmaschine das Publikum mit Huldigungen des Autors, die eher den Charakter von Lobhudeleien denn kritischen Würdigungen entfalteten. Auch die als Journalistin arbeitende Historikerin Franziska Augstein hat sich in ihrem Buch „Von Treue und Verrat: Jorge Semprún und sein Jahrhundert“ in erster Linie der Lobpreisung Semprúns verschrieben und feiert ihn als Individuum, dessen bemerkenswerte Biografie zugleich exemplarisch und herausragend für ein Leben im 20. Jahrhundert zu stehen scheint.

1923 in Madrid geboren, wuchs Semprún in einer großbürgerlichen Familie auf, die während des Spanischen Bürgerkriegs auf republikanischer Seite und nach dem Sieg der franquistischen Kräfte ins französische Exil ging. Als Achtzehnjähriger schloss sich Semprún der Résistance und später der spanischen Kommunistischen Partei, wurde 1943 von der Gestapo verhaftet und bis Kriegsende im KZ Buchenwald interniert. Nach der Befreiung arbeitete er bis 1953 als Übersetzer für Unesco, ehe er für die PCE Untergrundtätigkeiten in Madrid unternahm. Rasch stieg er ins Politbüro der Partei auf, bis er 1964 wegen parteischädigenden Verhaltens aus der Exil-KP ausgeschlossen wurde. Noch während seines Funktionärsdasein begann er in Frankreich eine Karriere als Schriftsteller und Drehbuchautor (unter anderem für Alain Resnais und Constantin Costa-Gavras), die er schließlich als spanischer Kulturminister in den Jahren zwischen 1988 und 1991 krönte.

In seiner subjektiven Geschichte entwarf sich Semprún, nachdem er seine Existenz als Parteifunktionär hinter sich gelassen hatte, als Intellektueller und Schriftsteller neu, ohne tatsächlich mit seiner Vergangenheit zu brechen. In die neue Existenz hat er die Imprägnierung der alten hinüber gerettet. „Ich denke wie früher“, insistiert er und rühmt sich der bruchlosen Fortsetzung seines Lebensprojekts. In seinen Augen werden die subjektiven Erfahrungen nicht durch politisch-historische Entwicklungen a posteriori entwertet. Tatsächlich unternimmt Semprún den Versuch, die eigenen Erfahrungen derart literarisch zu „verwerten“, dass Dokumente und Artefakte in einem Fluchtpunkt des Erzählens gerinnen, in dem schließlich Realität und Fiktion ineinander überblenden.

Der Literarisierung der subjektiven Erfahrung Semprúns hat Augstein keine eigene Strategie des Erzählens entgegenzusetzen. Ursprünglich als Interviewprojekt konzipiert, versucht sie das Buch in seiner Mutation als Portrait zu verkaufen, um den Ansprüchen einer kritischen Biografie aus dem Weg gehen zu können, während sie zu jedem Zeitpunkt mit dem Gegenstand ihres Projektes stets auf einem Reflexionsniveau sich zu stellen genötigt fühlt, um sich selbst ins rechte Licht zu rücken und an der Aura des zum Jahrhundertautor erklärten Semprún zu partizipieren. Immer wieder fühlt sie sich bemüßigt, die eigene Familiengeschichte mit der Semprúns ineinander zu blenden und sich mit penetranter Beharrlichkeit im historischen Bild zu verankern, während sie es nicht vermag, die Rolle Semprúns als Funktionär und Intellektueller in seinen verschiedenen Positionen innerhalb und außerhalb des leninistischen Rackets kritisch zu reflektieren. Anstatt politische Entwicklungen zu analysieren, kommt sie mit Plattitüden wie „Togliatti war damals noch ein guter Stalinist“ oder „Trotzki, der noch viel leninistischer war als Lenin“ daher und denunziert Jean-Paul Sartre als „unbelehrbaren Kommunistenfreund“, wobei sie ihrem Faible der Attributierung folgt, womit jeder seinen Stempel erhält.

In ihrer gemeinschaftlichen Gesinnung mit Semprún macht sich die Tochter aus höherem Hause gemein mit dem intellektuellen Großbürger, der sich als unbelehrbar zeigt. „Jenseits der KP gab es für ihn keine vernünftige Politik“, artikuliert Augstein als Semprúns Bauchrednerpuppe und reduziert entsprechend in ihrer Darstellung den Spanischen Bürgerkrieg auf die Auseinandersetzung von Demokratie und Faschismus, während sie die sozialrevolutionäre Komponente der Jahre 1936 bis 37 gänzlich ausblendet. Ebenso findet der anarchistische Widerstand, der von Aktivisten wie Francisco Sabaté Llopart und anderen betrieben wurde, nicht statt. Das Jahrhundert Semprúns, das Augstein porträtieren möchte, ist ein verzerrtes Abbild eines bekehrten Stalinisten, der für seine Aktivitäten in den Jahren zwischen 1953 und 1963 keine Verantwortung übernehmen möchte. „Man schätzt einen Menschen, der sich ändert, weil er reifer wird und heute mehr begreift als gestern“, schrieb Maurice Merleau-Ponty, den Augstein in ihrem penetranten Attributismus als „kommunistischen Philosophen“ deklariert. „Doch ein Mensch, der seine Positionen umkehrt, ändert sich nicht, er überwindet nicht seine Irrtümer.“ Tatsächlich begreift Semprún seine Irrtümer nicht: Als „Sozialist ohne Partei“ tritt er nach wie vor als Zuchtmeister und Steißtrommler der „Linken“ auf, ohne je Konsequenzen aus der Racket-Herrschaft seiner Vergangenheit gezogen zu haben.

Politisch bleibt Semprúns Ästhetik der Vermengung von Politik und Massenkultur fragwürdig, wie er sie nicht allein als Drehbuchautor für Costa-Gavras betrieb. Auch in seinem Roman „Netschajew kehrt zurück“ vermengte er politische Fragen mit Formen des Thrillers in einer Weise, in der vorgebliche politische Aktivisten wie Pin-up-Figuren agierten und wie unfreiwillige Parodien wirkten. „Fabienne Dubreuil war im Bad und kämmte sich vor einem großen Spiegel. Fast nackt. Prall, goldbraun, die Brüste nach einer kühlen Dusche emporgereckt, trug sie lediglich eine glänzend schwarze Strumpfhose, die ihre langen Beine betonte, die schmale Taille, die harmonische Kurve der Hüften.“ Im schalen Pop-Nachklapp von Fjodor Dostojewski und Paul Nizan erscheinen die Akteure der politischen Gewalt als bloße Abziehbilder einer willfährigen Medienbourgeoisie.