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19. Oktober 2009
Dominik Irtenkauf
für satt.org
 
Giwi Margwelaschwili: Der Kantakt.
Giwi Margwelaschwili: Der Kantakt.
Verbrecher Verlag, Berlin 2009
800 S., geb., 36 Euro
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Der Kantakt

Aus den Lese-Lebens­erfahrungen eines Stadtschreibers

Es zeichnet sich bereits seit Jahren ein zentrales Interesse im literarischen wie auch essayistischen Schaffen des deutsch-georgischen Schriftstellers Margwelaschwili ab: die Ontotextologie, die literarische Vorgänge als auch Figuren auf Herz und Nieren prüft. Die Bücher, die in regelmäßiger Folge beim Verbrecher Verlag erscheinen, setzen Stück für Stück ein Mosaik der belletristischen Annäherung zusammen. Die belletristische Annäherung erfolgt im Wissen um literarische Vorgänger und um die Folgen gewisser Lektüreprozesse, die vom Verfasser keineswegs auf die leichte Schulter genommen werden. Was heißt das konkret für den vorliegenden Roman, der – so die Meinung mancher Feuilletonisten – gar keiner sein kann? Margwelaschwili war lebensbiographisch im Jahr 1995 in Rheinsberg als Stadtschreiber eingeladen und hat diesen Aufenthalt für die intensive Lektüre eines bereits zu diesem Datum bestehenden Büchleins von Kurt Tucholsky genutzt: „Rheinsberg – Ein Bilderbuch für Verliebte“. Aus diesem Buch zitiert er in dem voluminösen Werk „Der Kantakt“ häufig und ausführlich. Diese Manier ähnelt einem essayistischen Vorgehen, bald schon entwirft Margwelaschwili in seinem neuen Buch einen Utopismus des Essays, wie es Musil in seinem „Mann ohne Eigenschaften“ versucht hat.

Margwelaschwili täuscht den Leser jedoch nicht über seine aktive Beteiligung am Romangeschehen. Gleich zu Beginn thematisiert er seine wichtige Rolle als begleitender Leser, der die Leerstelle zwischen den Zeilen des Tucholskyschen Bilderbuchs für Verliebte einnimmt. Dieser Platz ist alles andere als sicher und so erzeugt die Ambivalenz dieser Leserrolle einiges an Konflikt zu den agierenden Personen im Tucholsky-Werk. Claire und Wolfgang bemerken zwar Margwelaschwili als stillen Beobachter, doch können sie sich, da sie Figuren der Buchwelt sind, nicht an ihm vergreifen. Andererseits ist der Autor auf den guten Willen dieser beiden (und auch anderer) Figuren angewiesen, da er sonst keinen Platz in der Buchwelt besetzen kann. Warum das so ist, führt bereits tief in die Gesetzmäßigkeiten der Ontotextologie hinein, also: der Meta-Lektüre, die Gedanken darüber anstellt, wie es ist, als Buchfigur von Lesern aus aller Welt gelesen oder eben nicht gelesen zu werden, das heißt: beachtet zu werden oder unbeachtet zu bleiben. Der Verfasser von Büchern ist im Normalfall an der möglichst weiten Verbreitung seiner Publikationen interessiert, doch befreit ihn das nicht von der Verantwortung gegenüber seiner Literatur. Margwelaschwilis Erfahrungen in der Sowjetunion spielen auch in den „Kantakt“ hinein.

Der Titel zu diesem Roman springt Margwelaschwili auf einer Philosophentagung in Riga zu Zeiten des Ostblocks entgegen, als ein russischer Philosoph vom (deutschsprachigen) Repräsentanten der Kant-Gesellschaft aus dem Westen abläßt und zu Margwelaschwili gewandt scherzhaft „Kantaktij“ sagt – auf gut Deutsch „Kantakte“. Diese Kantakte zwischen verfeindeten Parteien unter Bezugnahme auf Vernunft spielen sich auch im Laufe der zirka 790 Seiten ab. So stellt sich der Verfasser die Frage „Warum belästige ich Clairchen und Wolfgang, wenn ich sie denn belästige?“ Claire fühlt sich beobachtet und von dem Lesergeist bedrängt. Jetzt darf man als Leser des Romans natürlich nicht verkennen, daß die Lektüre Margwelaschwilis auch an gewisse Vorgaben gebunden ist, und zwar liest er das Buch von Tucholsky während seiner Zeit in Rheinsberg. Die Handlung, die in einer gedruckten Form als „Rheinsberg – Ein Bilderbuch für Verliebte“ erschienen ist, kann zwar unterschiedlich von Lesern aufgefaßt werden, doch wird sich – als ein Gesetz der Hermeneutik – ein Kern herausschälen. An ebendiesen Kern liest sich Margwelaschwili heran und prüft diesen genau, ob sich nicht eventuelle Unstimmigkeiten in der Buchwelt ergeben, die von Tucholsky 1912 geschildert worden sind.