Anzeige: |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |
7. März 2010 | stefan heuer für satt.org |
Akrobat schöööön ...Wer bei diesen Worten den in ein wurstähnliches Kostüm gekleideten Charlie Rivel vor sich sieht, wie er in der Manege einem "Freiwilligen" einen Plastikfisch über den Kopf schlägt, sollte aus aktuellem Anlass umdenken, präsentiert doch der Poetenladen, nahezu zeitgleich mit der 7. Ausgabe seines Literaturmagazins, eine Neuerscheinung, die es auf sprachwandlerischem Gebiet mit den Größen jeder Manege aufnehmen kann. Über Jahre hinweg verfassten Michael Braun (Literaturkritiker und Herausgeber des Deutschlandfunk-Lyrikkalenders und zahlreicher Anthologien) und Michael Buselmeier (Publizist und Autor von Romanen, Essays und Lyrikbänden) Kommentare zu deutschsprachigen Gedichten der Gegenwart, die seit 1991 im Kulturteil der Wochenzeitung "Freitag" vorgestellt wurden – 100 von ihnen sind nun, vom jeweiligen Gedicht flankiert und für die Buchfassung überarbeitet, unter dem Titel "Der Gelbe Akrobat" in Buchform erschienen. Wenn zwei alte Haudegen, die sich schon lange und ausgiebig im Literaturgeschäft tummeln und auf Lesungen und bei Empfängen bereits neben allem gestanden haben, was im Betrieb Rang und Namen hat, ein solches Buch zusammenstellen, dann ist die Gefahr, dass es zu einem Projekt der Vetternwirtschaft verkommt, allgegenwärtig. Braun und Buselmeier umschiffen diese Gefahr mit gekonntem und glaubwürdigem Manöver, und so handelt es sich ausdrücklich nicht um ein persönliches Best of – die beiden haben hier nicht ihre liebsten 100 Gedichte zusammengetragen und kommentiert. Vielmehr ist es ein Sammelsurium von Texten, auf die sie in Lyrikbänden, aber auch in Zeitschriften und verschiedensten Anthologien stießen. Es sind Kommentare zu Gedichten, die, wie die beiden Verfasser schreiben, oftmals spontan, nach enthusiasmierenden Leseerfahrungen“ entstanden; Kommentare zu Gedichten von Vorgängern, von (teilweise bereits verstorbenen) Zeitgenossen, von Autorinnen und Autoren einer jüngeren Generation, für die es allesamt nur ein einheitliches Kriterium gab: ein anregendes Leseerlebnis – was dazu führt, dass der Leser hier nicht nur auf die üblichen Verdächtigen (Kling, Krolow, Jandl, Fried, Grünbein) und die jüngeren Leistungsträger (Wagner, Bossong, Ostermaier) trifft, sondern dass auch etwas in Vergessenheit geratene Autoren hier wieder zurecht ins Licht der Leselampe geschoben werden. Jürgen Theobaldy etwa, Hans Arnfrid Astel, oder auch der 1995 verstorbene Christoph Derschau, dessen bei Maro erschienener Lyrikband "Den Kopf voll Suff und Kino" noch immer zu meinen liebsten gehört. Entsprechend singen sie auf die veröffentlichten Gedichte und ihre Autoren nicht nur Loblieder, der grüne Klee ist auch mal kurzgeschoren oder latent ungenießbar. In so manchem der 100 Kommentare verbirgt sich auch (dabei aber gut sichtbar!) deutliche Kritik: am Umgang des Autors mit der Presse, Kritik an politischen Einstellungen und übertriebener Divahaftigkeit. Braun und Buselmeier sind sich sicher: Das ist drin, und das muss auch mal drin sein, so wie in einer guten Ehe, in der ein Schatz, die Bohnen sind noch beinahe roh!“ nicht zwangsläufig zweiwöchigen Sexentzug seitens der Ehefrau nach sich ziehen muss. Sekundärliteratur zu lyrischen Texten, die in Text und jeweiligem Titel selbst poetisch anspruchsvoll daherkommt. Ein kluges Buch; nicht altklug, nicht neunmalklug – einfach nur klug und fachkundig. Und ein schönes Buch; nicht übertrieben äußerlich schön, kein Blender. Pflichtlektüre für im Grunde alle, die Gedichte schreiben, vor allem aber für die, die Gedichte zukünftig gewinnbringender lesen und deuten wollen.
Michael Braun & Michael Buselmeier: Der gelbe Akrobat. |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |