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28. März 2010 | René Hamann für satt.org |
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FlamingosEs gibt auch schwache Geschichten in diesem Buch. Ulrike Almut Sandig, die wie viele Kreative ihrer Generation mit einem Mittelnamen auftrumpft, hat als Lyrikerin angefangen, zwei Gedichtbände veröffentlicht, im letzten Jahr den unter dichtenden Nachwuchskräften renommierten Leonce-und-Lena-Preis abgeräumt, hat Hörstücke produziert und nun pünktlich zum Bücherfrühling bei Schöffling & Co. ihr erzählerisches Debüt vorgelegt, "Flamingos", 11 Geschichten, davon mindestens sieben gute. Aber fangen wir ausnahmsweise mit den schwachen an (das Buch beginnt natürlich mit den beiden stärksten): "Vatertod" ist nicht viel mehr als eine Übung in Sachen Sterbebegleitungsgeschichte. Vater, Witwer, zwei Kinder, Enkel, sitzt stumm in seinem Haus und stirbt vor sich hin; erzählt wird diese Geschichte von einem der Kinder, dem Sohn, der seinerseits bereits Familie hat. Diese Art von Geschichte kennt man, wenn nicht aus dem eigenen Umfeld, so doch aus einigen Lektüren der letzten Jahre; man könnte fast behaupten, es hat sich da ein eigenes Genre gebildet (als gelungenes Beispiel gebe ich "Eins minus Eins" von Colm Tóibín an, zu finden in "Mütter und Söhne", Hanser). Sandigs Geschichte fügt diesem Genre allerdings nichts Neues hinzu, Erzählhaltung und Erzähltes bleiben zu sehr im Rahmen. Auch "Mutabor", leider so etwas wie die zentral gelegene Geschichte dieses Buchs, ist mindestens Geschmackssache. Erzählt wird die Geschichte einer jungen Streichergruppe, speziell die einer blinden Cellistin namens Anja und ihrer Freundin Iris, die erste Geige spielt. Erzählt wird in einem naiven Tonfall, der Nähe suggerieren möchte, die Namen der Protagonisten fallen ständig. Leider kommt die Geschichte dadurch nicht wirklich von der Stelle – auch weil der Konflikt zwischen den Protagonisten zu unterschwellig bleibt und zu konstruiert. Aber es gibt auch sehr starke Geschichten in diesem Buch. Sandig hat ein Faible dafür, Familiengeschichten – und um diese geht es in "Flamingos" – anhand von Randfiguren, von Außenseitern zu erzählen, und sie bedient sich leichthändig bei Musik und Vogelkunde, um Atmosphäre, um unterstreichende Bilderwelten zu schaffen. "Hush Little Baby" ist die ausgezeichnete Geschichte eines Jungen, der seinen vermeintlichen Zwillingsbruder bei der Geburt (oder vorher) verloren bzw. sich einverleibt hat und fortan eine andere Art Schizophrenie durchmacht, die mit körperlichen und sozialen Sonderbarkeiten einhergeht und einer großen Liebe zur Musik, speziell zum Jazz. Und das bis zum Abitur. Samt bizarren Ende auf einer Fußgängerbrücke. Sehr gut ist dieses Erzählen auch, wenn Sandig Zeitkolorit und Geschichte mitschwingen und auftreten lässt, von Kindheiten und Familien in der DDR oder dem abseitigen, halbbewussten Erleben von Wende und Wiedervereinigung erzählt. Ulrike Almut Sandig, Anfang 30, ist selbst bei Riesa aufgewachsen und lebt in Leipzig, wo sie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studierte. Typische DLL-, also Institutsprosa ist "Flamingos" jedoch nicht. "Alle in diesem Band versammelten Geschichten sind phantastischer Natur", steht in den Anmerkungen, tatsächlich ist diese Prosa sehr bemüht, Frische, Unvermittelbarkeit und einen Grad von Entrückung in mehreren Konstellationen und Erzählperspektiven durchzuspielen. Phantastisch ist das nicht immer, lässt sich insgesamt aber gut an. Richtig phantastisch wäre es, wenn Ulrike Sandig die normale Mitte der Gesellschaft, die Norm der Normalität, nicht anhand der gesetzten Randständigkeiten als umso normaler behaupten würde, sondern als ebenso phantastisch und ebenso verrückt, schizophren und, wenn man so will, krank wie der Rest. Wie sie ja nun mal auch ist. |
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