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22. Juni 2010
Thomas Backs
für satt.org
Bernd Erhard und Angelika Fischer: Das Irland des Heinrich Böll


Wahrscheinlich gibt es für einen, der Ire ist und schreibt, viel Ärgerliches in diesem Land, aber ich bin kein Ire, und ich habe Ärger genug mit dem Land, über das und in dessen Sprache ich schreibe, und auch der katholische Ärger in dem Land, dessen Sprache ich schreibe, genügt mir.
Heinrich Böll, aus: Abschied von Irland, 1967



Der keltische Tiger faucht schon lange nicht mehr. „Offices to let“ heißt der Werbeslogan des Jahres 2010 in Dublin. Zu lesen in allen Größen und Farben, auf den Plakaten und in den Fenstern der Viertel rund um den Stadtpark St. Stephen`s Green. Als „Stunning new offices“ werden die zu vermietenden Betonklötze einen guten Kilometer entfernt angepriesen, in Dublins Docklands mit dem Spencer Dock und Point Village entlang der Liffey. Hier, in den neuen Quartieren entlang des Flusses, ist die Wortwahl berechnender, die Gigantomanie der Goldgräberjahre in Stahl und Stein gewachsen. Mit genug Büros und Penthouses für jeden einzelnen Fondsmanager dieses Planeten. Ein kleines Land mit gut vier Millionen Menschen vor einer ungewissen Zukunft. Trotzdem - oder gerade deshalb - hat das Atelier Fischer in Berlin für seine Neuerscheinung „Das Irland des Heinrich Böll“ in der Reihe „wegmarken“ ein beinahe perfektes Timing.

Dublin Docklands 2010, gesehen von der Samuel Beckett Bridge. Foto: Thomas Backs
Dublin Docklands 2010, gesehen von der Samuel Beckett Bridge. Foto: Thomas Backs

Dublin war die erste Station für Heinrich Böll. Am 24. September 1954 betrat der spätere Nobelpreisträger im Fährhafen Dun Laoghoire (sprich: Dan Liri) erstmals irischen Boden. Auf 48 Seiten zeichnet Bernd Erhard Fischer im neu erschienenen Band der „wegmarken“ in der Edition A B Fischer Bölls irische Jahre nach. Ausgehend vom ersten Aufenthalt in der Wohnung des Österreichers Georg Fleischmann in Dublins Pembroke Road. Schwarzweiß-Fotografien von Angelika Fischer und Original-Bilder aus dem Heinrich Böll-Archiv machen die Flucht in den äußersten europäischen Westen anschaulich. Vor allem die Jahre auf Achill Island in County Mayo, wo Böll 1958 für seine Familie ein kleines Cottage im Dorf Dugort kaufte.

Eine Idylle war sie nicht, Bölls Welt zwischen den graugrünen Hügeln an der Atlantikküste. Wohl aber eine faszinierende Gegenwelt zum Deutschland der 1950er und 1960er Jahre. Bernd Erhard und Angelika Fischer gelingt es, mit diesen „wegmarken“ Heinrich Bölls Exiljahre festzuhalten. Eine sehr schöne Ergänzung zum Klassiker „Irisches Tagebuch“, erstmals erschienen im Mai 1957. Klar: Sekundärliteratur und Seminararbeiten zu Erzählungen wie „Der tote Indianer in der Duke Street“ oder „Die schönsten Füße der Welt“, die werden im Jahr 2010 in Regalmetern gemessen. Der Verdienst dieser „wegmarken“ ist es, Geschichten wie die Entdeckung des verlassenen Dorfs am Fuße des Hügels Slievemore in ihren Kontext zu stellen. Auf 48 Seiten darzulegen, warum die Republik Irland Heinrich Böll diese Inspiration lieferte.

Die Bucht von Keel, Achill Island, gesehen von der Straße nach Dooagh. Foto: Thomas Backs
Die Bucht von Keel, Achill Island, gesehen von der Straße nach Dooagh. Foto: Thomas Backs

68 von Bölls Werken sind hier in den Jahren entstanden, auch der WDR-Fernsehfilm „Irland und seine Kinder“. Verklärt hat Heinrich Böll seine Wahlheimat dabei nicht. Dafür ist er wohl auch nicht der Typ gewesen. Erinnerungen wie die ungläubige Freude über den „Kredit einer Eisenbahngesellschaft“ für zwei Erwachsene und drei Söhne auf der Fahrt Richtung Westküste, sie klingen 2010 schon fast wie Märchen. Und gerade Episoden wie diese machen „Das Irland des Heinrich Böll“ in diesen Zeiten so lesenswert. Sie machen deutlich, wie rasend schnell der Wandel der kleinen Republik nach Bölls irischen Jahren von sich ging. Heinrich Böll selbst erhielt 1973 am Trinity College von Dublin die Ehrendoktorwürde, ein Jahr nach dem Nobelpreis für Literatur. Im Mai 1983 war der Autor zum letzten Mal in Dugort. Das Cottage, in dem Heinrich und Annemarie Böll mit ihren Kindern gelebt haben, es gehört heute einer irischen „Heinrich Böll Association“. Betreten werden kann der Hof nicht mehr, Stipendiaten dürfen hier arbeiten. Schnell fündig wird, wer 2010 die Achill-Landkarte in der Hochglanzbroschüre des ansässigen Tourismusverbandes „Achill Tourism“ betrachtet: Ein „Heinrich Bolle Cottage“ ist hier unweit des Ortes Dugort eingezeichnet.

Ständer auf der O`Connell Street: The Spire gesehen von der O`Connell Bridge. Foto: Thomas Backs Ständer auf der O`Connell Street: The Spire gesehen von der O`Connell Bridge. Foto: Thomas Backs

„Das Irland des Heinrich Böll ist noch nicht ganz verschwunden. Es hat nur weitere Zeitschichten angesetzt.“ So schließt Bernd Erhard Fischer die „wegmarken“. Diese neuen Zeitschichten beinhalten dann auch die Jahre der gierigen Goldgräber, die in der Republik Irland irgendwann in den 1990ern begannen. Nachdem das einst arme Land am Rande Europas relativen Wohlstand erreicht hatte. Zu den verlassenen Dörfern der Insel sind in dieser Zeit nicht nur auf Achill Island viele neue gekommen. Siedlungen mit schmucken kleinen Ferienhäusern, welche die längste Zeit des Jahres unbewohnt sind. Passend zu den „atemberaubend schönen“ Büros in der Hauptstadt lautet hier der Slogan des Jahres 2010: „Houses for sale“.


Das Irland des Heinrich Böll
Photographien: Angelika Fischer
Text: Bernd Erhard Fischer
Edition A B Fischer, Berlin
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