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31. Januar 2011 | stefan heuer für satt.org |
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Schön, dünn, tot... und verschwunden –
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Bernhard Aichner: Die Schöne und der Tod Kriminalroman Haymon Verlag, 2010 256 S., br., 9,95 € » Verlag » amazon |
Sonntag, ein kalter Januartag in einem Dorf in den Bergen, und Max Broll liegt nackt im Schnee – nicht ermordet, hinterrücks erwürgt oder erschossen seine weiße Umgebung vollblutend, so wie man es vom Anfang eines Kriminalromans vermuten könnte, sondern quicklebendig und gutgelaunt nach einem Saunagang mit seiner aktuellen Ex Hanni. Die Sauna steht im Garten des hiesigen Friedhofs, gegen den Willen des Dorfpfarrers, versteht sich – der aber kann ihn mal bzw. kann ihm nichts, denn Max Broll ist Totengräber und der Garten seit Generationen in Besitz seiner Familie. Nach der Sauna ein gemütliches Essen auf der Dachterrasse, Heizpilz an, Glas Wein dazu, gebratene Hähnchenschenkel, das alles in Gesellschaft seines besten Freundes Johann Baroni, einem ehemaligen Fußballprofi, den es nach dem Ende seiner aktiven Karriere im Ausland wieder ins heimatliche Dorf verschlagen hat – wie entspannt könnte dieser Tag zuende gehen, so gänzlich ohne Pflichten, ohne Aufregung, leicht angeschickert.
Könnte, ganz richtig, tut er aber nicht, denn nach einem kurzen und wortkarg geführten Telefonat ist alles anders, und alles andere als entspannt: Emma, Max’ große Liebe vergangener Tage, mit der er damals nach Wien gegangen war, er um Publizistik zu studieren, sie um in Mode zu machen; Emma, jene Frau, die er in Wien zurückgelassen hatte, um seinen kranken Vater zu betreuen und schließlich, nach dessen Tod, im Dorf zu bleiben und die Tätigkeit des Vaters fortzuführen. Und eben diese Emma kündet nun ihren Besuch an, und das aus erschütterndem Anlass: der Beerdigung ihrer Schwester, die sich von einem Dach gestürzt hatte und auf dem heimatlichen Friedhof begraben werden soll. Des öfteren hatte sich Max ein Wiedersehen ausgemalt, aber nicht so, nicht unter diesen Umständen. Schlagartig nüchtern geworden, entspannt sich das Leben der verstorbenen Schwester: Marga, schon früh ein international gebuchtes Model, dann Zusammenbruch, Suizidversuch und Anstalt, das große Medien-Comeback nach ihrer Teilnahme bei »Bauer sucht Frau«, ihre Hochzeit mit Schweinebauer August, der für sie seinen Hof verkauft hatte und samt Mutter bei Marga eingezogen war. Und nun also die Beerdigung, für die Max das Grab auszuheben hat, gepaart mit dem ersten Zusammentreffen mit Emma seit Jahren, bei dem sich schnell zeigt, dass die Glut noch nicht gänzlich erloschen ist. Und tatsächlich verbringen die beiden die Nacht nach der Beisetzung sowie beinahe den gesamten nächsten Tag zusammen im Bett, bis Max einen Blick auf seine Uhr werfen möchte und feststellt, dass sie nicht da ist und eigentlich nur an einem Ort sein kann: im frisch zugeschaufelten Grab. Gegen den Protest der fassungslosen Emma holt Max den Sarg wieder ans Tageslicht, und ja: dieser Sarg ist jetzt deutlich leichter als beim Herablassen, denn er ist leer. Immerhin, seine Uhr findet Max tatsächlich im Sand (wobei man bei der Passage mit der verschwundenen Uhr unverzüglich das Gesicht von Bruce Willis im Kopf hat, wie er in »Pulp Fiction« die vom Vater vermachte goldene Uhr aus seiner Wohnung holt und dabei auf Vincent Vega trifft), aber einen Leichendiebstahl auf »seinem« Friedhof, verbunden mit einem Erpresserbrief, in dem für die Leiche 30.000 Euro gefordert werden, das geht zu weit. Gegen den Willen der Polizei nimmt er die Ermittlungen selbst in die Hand – ein gefährliches Unterfangen, wie sich bald herausstellen soll ...
Bernhard Aichner (1972 geboren, zahlreiche Theaterstücke und Hörspiele sowie die Romane »Das Nötigste über das Glück«, »Nur Blau« und »Schnee kommt«) entwickelt in seinem Krimi-Debüt aus Emmas Rückkehr in ihr Heimatdorf ein Psychogramm aus Verantwortung und Selbstverwirklichung, aus Nähe und Distanz, aus Beziehung und Einsamkeit, aus Besitztum und Verlustängsten, und schnell wird deutlich, dass das Verhältnis der Schwestern keineswegs unbelastet und das familiäre Gefüge auf sehr unsicheren Beinen unterwegs war... Lange, protokollartig stilisierte Dialogstrecken ziehen das Tempo an und machen »Die Schöne und der Tod« zu einem wie die Faust aufs Auge passenden Teil des Haymon-Krimiprogramms, das sich mehr und mehr durch gute Geschichten und Dialoge, vor allem aber durch einen ihm eigenen Humor auszeichnet.
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