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13. Februar 2011
stefan heuer
für satt.org
  Martina Hefters Lyrikdebüt »Nach den Diskotheken«
Martina Hefter:
Nach den Diskotheken

Gedichte
kookbooks 2010
80 S., 19,90 €
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alpiner full contact
zwischen Körper und Geist

Martina Hefters Lyrikdebüt
»Nach den Diskotheken«

Die zeitgenössische Lyrik steht bei vielen Menschen im Verdacht, ihren Sinn und Zweck, im Grunde ihre Berechtigung, aus der Absonderung von realitätsferner, hermetisch in sich geschlossener und möglichst unverständlicher (muss dann wohl Kunst sein) Worthülsen zu ziehen; verkopft, fernab jeder Lesbarkeit, nix für den Nachttisch. Heftige Vorwürfe, die sich – wie man leider zugeben muss – nur allzu oft als zutreffend erweisen und schon so manchen Leser in die Verzweiflung getrieben und auf die lebenslange Lyrikflucht geschickt haben.

Doch nicht nur IN, sondern vor allem auch in Sekundärliteratur ÜBER Gedichte wird ohne Unterlass Fragwürdiges geschrieben. Vor allem die an verschiedenen Stellen immer mal wieder gestreute, auf welcher Berechtigung auch immer fußende elitäre Behauptung, Gedichte könne nur genießen, wer über einen entsprechenden akademischen Background verfüge, sich mit dem Kanon auskenne und vergleichen und analysieren könne, ist natürlich Humbug. Es mag richtig sein, dass die Kenntnis von gesellschaftlichen und geschichtlichen Herleitungen und interliterarischem Kontext den Zugang zu einem Text erleichtern kann. Es mag auch richtig sein, dass der regelmäßige Lyrikkonsum das Gefühl für Vers und Metrik öffnet, aber dennoch: Ein jedes Gedicht ist ein neu zu bewertendes Unikat, ein Novum, in dem man sich nicht auskennen kann, ein neues Feld, das es mit Herz und Hirn zu erkunden gilt.

Nun gibt es Autorinnen und auch Autoren, die sich in ihren Gedichten monopoetisch einem Thema widmen. Unglücklicherweise führt diese Spezialisierung oftmals dazu, dass sich große Teile einer potentiellen Leserschaft als unwürdiger Laie vorkommen und damit ausgeschlossen und/oder ausgeladen fühlen. Martina Hefters bei kookbooks erschienener Gedichtband »Nach den Diskotheken« (ihr Lyrikdebüt nach drei vorangegangenen Romanen in anderen Verlagen) begeht diesen Fehler nicht. Die von ihr in den Mittelpunkt ihrer Gedichte gestellte Differenz, die an vielen Stellen mit dem für sie bedeutsamen Körpergefühl des Tanzens eine Komplizenschaft eingeht, lässt den Leser erstaunlich nah an Körper und Seele heran. Die im Allgäu aufgewachsene Martina Hefter, die in München und Berlin in zeitgenössischem Tanz ausgebildet wurde, präsentiert ihre Gedichte eben so: tänzerisch, nur wenigen Einschränkungen unterworfen, im stetigen Wechselspiel von Bodenständigkeit und dem Griff in den Himmel, ernst und bedeutsam und gleichzeitig spielerisch und offen. Offen für alle, Tanz als Lehrstoff bleibt außen vor, eins zwei Wechselschritt, wie man es in der der Konfirmation vorgeschalteten Tanzstunde über sich ergehen lassen musste, immer wieder der gleiche Blues zu »In the army now« von Status Quo, getrost kann man das vergessen, wenn man es nicht längst getan hat. Hier geht es um das wahre Leben, um das Daherschreiten der Pfauen, um Bewegungen in der Natur und in Gesellschaft. Hier geht es um das Tänzerische in Mensch und Tier, um fliehende Huftiere und das Gefühlsleben der Pflanzen, um geistige und manchmal sehr reale Differenzen, eben auch mal um den nächtlichen Nachhauseweg nach der Disko. Man muss Pina Bausch nicht den Tee in die Garderobe gebracht haben, um von Hefters persönlicher Note beeindruckt und an vielen Stellen gefangen zu sein.

Überraschenderweise finden sich im Buch nicht die Gedichte, für die Martina Hefter 2008 der Lyrikpreis Meran zuerkannt wurde, jedoch entschädigt sie mit dem großartigen Kapitel »Vierschanzengedichte", einer sehr persönlichen, liebevollen, durchaus aber auch kritischen Hommage an ihre Kindheit und Jugend und alpine Heimat. Überhaupt sind die Berge sehr präsent, ob als Kuhweide, als Steckbrett für Fichten und Tannen, als dunkler Kontrast zum sternklaren Himmel – immer mit Gefühl, nie als bloße Kulisse.

Stillstand ist diesen Gedichten nicht zu entnehmen, alles ist in Bewegung und vergänglich, alles muss enden, auch der noch so schöne Diskobesuch:

Die Disko stellt ihr Leuchten ein, und wir
entwachsen den Pferden, der Erde.

Es schleppen sich Dörfer, gezimmerte Häuschen,
Schindeln im Fischschuppenmuster,
das Werk von Pedanten. Pedantenwerke
bergen einen Kern, den ich verstehen kann.

Dieses Rätsel, was wartet noch draußen.
Nachtwanderer, Touristen.
Die kleinen Kegel
Licht aus ihren Taschenlampen.

Über das Tanzen gibt es unzählige Bücher – Bildbände über einzelne Tänze, über den vielbesungenen Zauber des Tangos oder die Historie des Flamencos, aber auch Portraits berühmter Tänzerinnen und Tänzer oder Schnellkurse für jedermann; Hochzeitswalzer in 5 Minuten! Mit »Let’s Dance« geht man bei RTL auf Quote. Wer aber wirklich etwas über die wichtigen, im »wahren« Leben anwendbaren Figuren und Schritte lernen und lesen möchte, dem sei »Nach den Diskotheken« empfohlen.