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16. März 2011
Thomas Backs
für satt.org
  Rainer Krispel (Foto: Edith Ruthner)
Rainer Krispel
(Foto: Edith Ruthner)


»In etwa 5 Zentimeter
von mir entfernt«

Rainer Krispel im Interview mit Thomas Backs über seinen Debüt-Roman »Der Sommer als Joe Strummer kam«, seinen Helden Gustav, Erinnerungen an das Linz der 1980er und frühen 90er. Musik damals, Musik heute. Prominente Gäste auf den Bühnen Oberösterreichs, Lieblingsbücher, Theater, Weltmusik, das neue Album der Strokes und vieles mehr.

»Mit einem Journalisten redest du nur, wenn er zahlt, wenigstens ein Gulasch oder ein Seidl muss drin sein und du erwartest nichts, gar nichts von ihm oder dem was er bringt.« So lautet eine der Weisheiten, mit der der Linzer Punk Gustav in Rainer Krispels Debüt-Roman unterwegs ist. Der in Wien lebende Autor und Musiker hat im Punk und Hardcore Österreichs selbst Spuren hinterlassen, Target Of Demand und Seven Sioux hießen seine bekanntesten Bands. Zurzeit ist Rainer Krispel Sänger bei The Red River Two mit Ernst Molden und wirkt an einem Chorprojekt namens Schmankerl der Schöpfung mit. Den Roman »Der Sommer als Joe Strummer kam« hat er als digitales Hörbuch und eBook bei mcpublish veröffentlicht. Der junge österreichische Verlag hat sich auf diese Formate spezialisiert. Rainer Krispels Debüt sind die Erinnerungen des Linzer Punks Gustav. Im Interview mit satt.org erzählt der Autor viel über Entstehung und Hintergründe dieses Werks, wir erfahren im Gespräch eine Menge über Linz und Österreich in den 1980ern und 90ern. Natürlich nimmt das Thema Musik viel Raum ein. Rainer Krispel hat eine Menge zu erzählen.

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  Rainer Krispel: Der Sommer als Joe Strummer kam
Rainer Krispel:
Der Sommer als
Joe Strummer kam

Hörbuch und eBook
mcpublish 2011
» Verlag
» amazon

satt.org: In »Der Sommer als Joe Strummer kam« erzählt der Linzer Punk Gustav aus seinem Leben. »Er glaubte an Musik, an ihre fast grenzenlosen Möglichkeiten zu bewegen, ihn zu bewegen und Menschen miteinander in Verbindung zu bringen« heißt es an einer Stelle. Wieviel vom Menschen Rainer Krispel steckt in Gustav?

Rainer Krispel: Vom zwanzigjährigen Rainer Krispel sehr viel; ein guter Freund hat gesagt, dass er es mag, wie Gustav in etwa »5 Zentimeter von mir entfernt ist«. Aber an die Möglichkeiten von Musik glaube ich ungebrochen, allerdings mit zunehmenden Zweifeln, weil »immer mehr rum steht um die großartige Musik«.

The Pogues, Elvis Costello, die Ramones, natürlich Joe Strummer, No Means No, D.O.A. und viele andere. Gustav hat als Musikliebhaber viel erlebt. Vor der Bühne und darauf, mit seinen eigenen Bands. Sind die Tour- und Konzertberichte dieses Romans autobiografische Elemente?

Ich habe in meinem Leben bislang wohl um die 2500 Konzerte gesehen und einige selber gespielt, in dem Sinn sind sie »autobiografisch«, dabei war es aber eher ein Prozeß des Nachempfindens, die einzelnen »eingebrannten« Sound-, Moment- und Dialog-Fetzen zusammenzuführen. Wirklich erinnern an das Ramones-Konzert am 5. August 1986 in Amsterdam konnte/kann ich mich nicht.

Wie bist Du auf die Idee gekommen, einen Musik-Roman zu schreiben?

Fabian Burstein von mcpublish hat mich konkret in diese Richtung gefragt und mir einen Vertrag angeboten – leider ohne Vorschuss. Da ich den Titel schon ewig hatte – seit den 90ern – war es dennoch ein wenig das Gefühl von »jetzt oder nie«.

Du bist Sänger, im österreichischen Punk und Hardcore bereits lange unterwegs. Gab es nach der Romanveröffentlichung bereits erste Reaktionen von Lesern? Wie fallen diese aus?

In Wien habe ich eine Lesung gemacht, bei der zum einen der Besuch recht positiv war und auch die Reaktionen auf das Gelesene. Sonst bislang eher verhalten und inexplizit, kaum über ein »Hey, Du hast einen Roman geschrieben, super!« hinausgehend. Die bei Radio FM4 damit betrauten RedakteurInnen fanden ihn zu schlecht, um ihn ihrer Community zuzumuten. Also sagt der Punk in mir – fuck them! Gebt mir ein schlechtes Review, adelt meinen Roman! Traut Euch!
Erste Besprechungen werden wohl jetzt erst erscheinen, insgesamt ist das Gefühl seltsam, gleichzeitig habe ich mit der Musik schon so oft die Erfahrung gemacht, dass tatsächliche Auseinandersetzung kaum passiert und anderseits, wenn nur ein Leser, eine Leserin etwas, irgendetwas damit anfangen kann ist das sehr schön – und diese glaubwürdigen Feedbacks gab es bereits. Und allein jeder Mensch, der für den Roman Geld ausgibt, ist mir eine Bestätigung. Ein Wiener DJ und Freund hat nach der Lesung etwas sehr Substantielles angemerkt, dass ihm die Sprache zu distanziert, zu oberflächlich oder ungenau ist, dass ich mich zu sehr »raus« stelle – damit kann ich etwas anfangen, wenn konkret etwas benannt und kritisiert wird. Solche Kritik wünsche ich mir.

Welche Autoren liest Du selbst am liebsten? Gibt es Romane und Erzählungen, die zu deinen persönlichen Favoriten gehören?

Am öftesten gelesen habe ich »Der Meister und Margarita« von Michael Bulgakow, ein Roman, der mich bei jedem Lesen immer wieder sehr packt. Die Neuauflage des Werks von Jörg Fauser bei Diogenes war ein Geschenk. Ein großer Favorit ist Thomas Pynchon, wenn auch »Nützliche Mängel« im Vergleich zu »Gegen den Tag« ein wenig, hm, »leichtgewichtig« war. »Die Auslöschung« von Thomas Bernhard, das hilft immer wieder gegen zuviel Österreich. Oder Elfriede Jelinek, letztes Jahr habe ich eine brillante Aufführung ihres Stücks »Die Kontrakte des Kaufmanns« in Wien gesehen – das war food for thought in full effect und gleichzeitig sehr sinnlich, ja, tröstlich. Tendenziell viele US-amerikanische AutorInnen, Stewart O´Nan geht immer, Elmore Leonard ...

Wie hast Du als Sänger den Wechsel in die Rolle des Erzählers, zum Aufnehmen deines eigenen Hörbuchs erlebt?

Ohne Koketterie: Die Stimme zu »erheben«, mich auszudrücken, ist ewas Vertrautes, sowohl beim Schreiben, als auch beim Einlesen des Hörbuches habe ich das als eine logische Konsequenz von etwas erlebt, dass ich für mich ohnehin schon immer gemacht habe, mit einer neuen Qualität – nicht an eine musikalische Umsetzung eines Kurztextes denken zu müssen, nicht gegen laute E-Gitarren anbrüllen zu müssen oder darauf Rücksicht nehmen zu müssen, was meine Mitmusiker von irgendwelchen Texten halten mögen. Befreiend. Aufregend. Logisch.

Dein Verlag mcpublish ist auf digitale Hörbücher im MP3-Format und eBooks spezialisiert. Liegt dort die Zukunft der Verlagsbranche?

Die Verlagsbrache als solche liegt mir in etwa so am Herzen wie »die Musikindustrie«. Interessant wird es dann, wenn es gelingt »to cut out the middleman«, sprich die Kommunikation AutorIn – LeserIn ohne Zwischenhändler passiert. Aber da faire ökonomische Modelle zu entwickeln, die gleichzeitig nicht AutorInnen automatisch in eine UnternehmerInnen-Parallelexistenz zwingen …
Davon abgesehen fühle ich mich von mcpublish gut und fair vertreten und kann nachvollziehen, was die Beteiligten in ihrem Geschäftsmodell sehen und wünsche Ihnen nicht gänzlich uneigennützig viel Glück dabei. Gleichzeitig scheitert eine mögliche Buchausgabe meines Romans bestimmt nicht an mir und glaube ich auch nicht, dass »das Buch« verschwindet. Aber wer weiß, was der unmittelbar bevorstehende Kollaps des Kapitalismus alles verändern wird …

Linz und seine Punk- und Alternative-Szene bilden in weiten Teilen den Handlungsort des Romans. Die Stadt war einmal das Zentrum der alternativen Musikszene Österreichs. Was ist in der Europäischen Kulturhauptstadt 2009 heute davon geblieben?

Da ich seit 1995 in Wien lebe, fühle ich mich bedingt berufen das zu kommentieren. Das Jahr als Kulturhauptstadt war sicher für den Intendanten dieses Jahres gut und für Menschen, die Kultur als Wirtschaftsfaktor sehen und deren einziger Zugang zu Kultur über das Wort »Umwegrentabilität« funktioniert. Budgetär auf Subventionsebene ist der Kahlschlag nach dem Kulturhauptstadtjahr auf jeden Fall passiert und strukturelle Einschnitte verändern natürlich eine »Szene«. Aber warum von Kulturpolitikerinnen oder Kulturamts-BeamtInnen mehr erwarten als von PolitikerInnen an sich?

Im Roman wird von Auftritten in Berlin, England und Polen berichtet. Wie war das eigentlich im Linz der 1980er? Haben auch deutsche Bands des Punk und Wave bei Euch Stahlstadtkindern in Österreich gastiert?

Die 80er als Zeitrahmen stimmen nicht ganz, in etwa hat sich das von 1984/85 bis 1994 abgespielt. Deutsche Bands? Ich erinnere mich an ein phantastisches Konzert von Wirtschaftswunder, Der Moderne Mann aus Hannover waren auch ganz großartig, Abwärts leider nicht ganz so knusprig. Die Neubauten bei einem frühen Konzert in der Stadtwerkstatt habe ich persönlich nicht gesehen, aber es gibt die Anekdote, dass Mufti/FM Einheit eine Wand anzubohren begann, worauf ihn ein Stadtwerkstätter zurecht wies: »Hey, wir wohnen da!«. Das erste (und einzige?) Toten Hosen-Konzert in Linz war auch sehr lustig. Im Hardcore-Kontext waren Jingo De Lunch aus Berlin eine wichtige Band, die haben wir alle geliebt, das erste Album und ihr Konzert in der Kapu; etwas später dann Die Goldenen Zitronen in der Kapu (oder deren vergessener Ableger Motion), aber auch Slime bei ihrer ersten Reunion – das war schon ein Punkertraum, den wir uns erfüllt haben. Einzig die großen Fehlfarben schwächelten bei ihrem Konzert im Rahmen der 91er-Reunion im Linzer Posthof – dafür sind die jetzt wieder sehr, sehr gut.

Mit »Es muss was geben« gibt es bereits einen Film über die Linzer Punk-Szene in den 1980ern. Wenn der Film »Der Sommer als Joe Strummer kam« gedreht werden sollte, wie müsste der aussehen?

Wenn das tatsächlich wer machen wollen würde, dann soll er/sie es bitte so machen, wie er/sie sich das denkt, in der Hoffnung, dass er/sie sich wirklich was dabei denkt …

Dein Held Gustav nennt im Roman einen »fortgeschrittenen Wirklichkeitsverlust« als Grundvoraussetzung für eine große Karriere im Pop des 3. Jahrtausends. Wie beurteilt eigentlich Rainer Krispel die rasanten Veränderungen der Branche in den letzten Jahren?

Das müßte ich jetzt nachschlagen ... Den Popstar als kapitalistisches Erfolgsmodell und/oder Hofnarr (geschlechtsneutral!) finde ich schon immer öde, ohne dass ich mich daran abarbeiten müsste – fuck them, die Zweite. Und wer will sowas sein? Wer will so leben? Das einzige was mich an Madonna je interessiert hat war, dass sie eine Bad Brains-Platte ermöglicht hat – und die war schlecht. Wie die Medienkasperln dann über die Popkasperln geschrieben haben – zum Kotzen! Simon Reynolds hat das in seinem Buch »Rip It Up And Start Again« brillant herausgearbeitet, wie Post-Punk zu New Pop wurde und was dabei alles verloren gegeben wurde. Aber alles rächt sich und es gibt doch nichts Erbärmlicheres als One/Two Hit Wonder, die im Privatfernsehen bei Chartshows schlechte Figuren machen. Was ich jetzt aktuell als bedenklich betrachte, ist, dass eine Musikindustrie, die in allen Belangen gescheitert ist, ihre KünstlerInnen verraten und verkauft hat, wo sie nur konnte, die versucht hat Ihr Publikum zu kriminalisieren es noch immer schafft, sich als die Lobby »der Musik« das Ohr »der Politik« zu sichern – da ist eine einzige Umverteilung nach oben im Gange, das ist der ganz große Musikschwindel, da wäre ein neuer strukturell ansetzender Punk gefragt, der (geistig) korrupte Strukturen obsolet macht und die Shareholder enteignet – Geld macht keine Musik!

Und noch eine Musikfrage: Gustav entdeckt Musiker und Bande gerne »rückwärts«, anhand ihres Backkatalogs. Wie ist das für Dich persönlich in der Gegenwart? Gab es in den letzten Jahren noch Künstler, die Du neu entdeckt hast? Die Dich so begeistern, dass Du ihre Platten eben »rückwärts« erlebst?

Zuletzt total begeistert hat mich Daniel Kahn & The Painted Bird, deren Album »Lost Causes« ich sehr viel höre, der Song »A Miller´s Tears« ist ganz groß. Erst gestern habe ich den Banjo- und Mandolinenspieler Brian Kelly mit einer Band namens The Long Notes live erlebt – mindblowing! Dadurch, dass ich für einen Wiener Veranstalter aus dem sogenannten »Weltmusik«-Bereich texte, werde ich seit drei, vier Jahren mit viel Musik aus einem Nicht-Rock/Pop-Kontext konfrontiert – was extrem erfrischend ist, gerade reine Instrumentalmusik oder Songs, deren Texte ich wörtlich nicht verstehe. Auch die Aufmerksamkeit des Publikums bei diesen Konzerten, fast bin ich versucht zu schreiben »die Hingabe« ... da geht`s tatsächlich um die Musik und nicht rein um das soziale Ritual Konzert. Nix mit an der Bar stehen und saufen (was auch was hat), während irgendeine laute Band den austauschbaren Soundtrack liefert …

Rock/Pop/Punk höre ich mittlerweile meist sehr effektiv, arbeitsbezogen. Ich »durfte« für einen nicht zustande gekommen Artikel die vierte Strokes hören – das ist ganz dumme, nur mehr von ihrer eigenen Bedeutung eingenommene Musik, die in Wirklichkeit kein Mensch braucht. So etwas langweilt mich letzlich zu Tode, anders die aktuelle Wire – die kann was! Oder Kreisky aus Wien, große Band!
Oder – mein Bruder hat mir eine CD mit nigerianischer Musik aus den 70ern geschenkt (»The World Ends: Afro Rock & Psychedelia in 1970s Nigeria«, Soundway) – da komm ich beim Hören aus dem Staunen nicht heraus …

»Der Sommer als Joe Strummer kam« ist dein Roman-Debüt. Gibt es bereits Pläne für einen Nachfolger? Kannst Du uns etwas darüber verraten?

Geschrieben wird werden, allerdings weniger impulsiv und anders als beim Debüt. Der Plot entwickelt sich gerade, Hauptfigur ist eine Frau und das Setting ist eine österreichische Kleinstadt in den Monaten vor dem Ende des zweiten Weltkriegs, erotische und menschliche Raserei unter extremen Bedingungen. Definitiv kein Punk- und Musik-Kontext, große Frage, ob unter meinen gegebenen Lebensumständen umsetzbar, weil rechercheintensiv. Wir werden sehen …