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5. September 2011
Jörg Auberg
für satt.org
  Gisa Pauly: Inselzirkus

Gisa Pauly: Inselzirkus. Ein Sylt-Krimi. München: Piper, 2011. 400 Seiten, 9,95 Euro. Hörbuch: 19,99 Euro. eBook 8,49 Euro.
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CROSSMEDIA PULP

In ihrem Roman »Inselzirkus« schickt Gisa Pauly zum fünften Mal ihre italienische Ermittlerin Mamma Carlotta durch die Sylter Kulissen und einen ausufernden Raum der Geschwätzigkeit.

Wieder einmal geht die Angst im deutschen Feuilleton um. Die fortschreitende Digitalisierung des Buches lässt die kulturkonservative Journaille erschaudern. »Immer öfter kaufen Amerikaner kein gedrucktes Buch, sie laden sich die Datei auf ihr Lesegerät«, ließ der Feuilletonist Stephan Speicher das Publikum auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung vom 20. Juli 2011 wissen. »Und schon ist das Geschäft ohne den Händler gemacht, meistens jedenfalls.« Damit folgte Speicher, der sich dem Leser als Vertreter »traditioneller Bücherliebe« präsentierte, der klassischen Argumentation der konservativen Kulturkritik: Der Ursprung des Übels wird im kulturlosen Amerika lokalisiert, wo ruchlose Geschäftemacher dem Buch als »Ausweis feinerer Lebensart« den Garaus zu machen trachten. Während er vorgibt, das Schöne und Erhabene, »Bildung und Lektüre« zu verteidigen, ist dieser Journalist doch nicht mehr als ein Lobbyist einer nationalen Branche – in diesem Fall des deutschen Buchhandels, dessen sinkende Profite ihn um den Bestand der »Buchkultur« fürchten lassen.

Heuchlerisch posiert der Feuilletonist als Verteidiger der Kultur, während er doch nur die alte Komplizität zwischen Unternehmern und willfährigen Werkzeugen der Branche betreibt, wie sie bereits Balzac in seinem Roman Verlorene Illusionen beschrieb. »Die Eigentümer der Zeitungen sind Unternehmer, und wir sind die Handlanger«, lässt Balzac den opportunistischen Journalisten Lousteau sagen. »Je mittelmäßiger daher ein Mann ist, desto rascher gelangt er zum Ziel; er mag lebende Kröten schlucken, sich in alles fügen oder den niedrigen Leidenschaften der literarischen Sultane schmeicheln ...« Das Buch ist keineswegs ein »so vornehmer Gegenstand« und ein »Ausweis feinerer Lebensart«, wie der Handlanger des deutschen Buchhandels suggeriert, sondern in erster Linie eine an den Bedürfnissen des Marktes ausgerichtete Ware, die längst im zur »Crossmedia«-Industrie mutierten Buchhandel gruppenspezifischen Verwertungsstrategien unterliegt. Das Buch, das der reaktionäre Kulturkritiker beschwört, existiert schon lange nicht mehr. Bereits nach einem Gang über die Frankfurter Buchmesse im Jahre 1959 kehrte Theodor W. Adorno mit der Einsicht zurück, dass »die Bücher nicht mehr aussehen wie Bücher«. Die »Liquidation des Buches« (Adorno) ist seitdem vorangeschritten, und daran haben Autoren wie Publikum eine Mitschuld, wie Jurek Becker in einer seiner hellsichtigen Frankfurter Vorlesungen aus dem Sommer 1989, die er als Warnung vor dem Schriftsteller betitelte, unterstrich. Der Buchmarkt sei, stellte Becker treffend fest, von Büchern überschwemmt, »die einer gewissen Fingerfertigkeit entspringen und die niemand zu vermissen brauchte, wenn es sie nicht gäbe«, von Büchern, »die vor allem für eines Sorge tragen sollen: dass der Schornstein raucht.«

In diese Kategorie fällt auch das als »Sylt-Krimi« kategorisierte Buch Inselzirkus der Autorin Gisa Pauly, einer ehemaligen Berufsschullehrerin, die seit 2005 Drehbücher für die ARD-Telenovela Sturm der Liebe fabriziert und seit 2007 ihre Figur Mamma Carlotta, die italienische Schwiegermutter eines nordfriesischen Polizeikommissars, auf Sylt in Miss-Marple-Marnier Kriminalfälle lösen lässt. Inselzirkus ist der fünfte Roman der Serie, und obgleich er kurzzeitig den Sprung auf die Spiegel-Beststeller zwischen »Platz 36 und 24« schaffte (worüber sich die Autorin – wie sie auf ihrer Homepage schrieb - »wahnsinnig« freute) und Pauly bereits die sechste Folge ankündigt, ist die Erschlaffung offensichtlich, ohne dass dies einer Dreifachverwertung als gebundenes, digitales und Audio-Buch entgegenstünde. Im Sinne Lousteaus ist die ausgewiesene Mittelmäßigkeit ein Garant des Erfolges. Mochte anfangs der scheinhafte Konflikt von italienischem Temperament und nordfriesischem Stoizismus noch ein Überraschungsmoment enthalten, so ist er jetzt allenfalls in seiner stereotypen Zurschaustellung Bestandteil einer plumpen Konstruktion, wobei vor allem die Konfrontation der älteren Italienerin mit der deutschen Sprache und den modernen Ausprägungen der Kommunikationstechnik in Form eines Prepaid-Handys aufgesetzt wirken.

Zudem wird das Buch kaum den Ansprüchen eines Kriminalromans gerecht. Während Carlottas Aufenthalt auf Sylt werden Szenen für die Telenovela »Liebe, Leid und Leidenschaft« in Wenningstedt gedreht. Carlotta bewirbt sich mit ihren Enkeln für eine Statistenrolle, erhält – wie es der Zufall will – eine kleine Sprechrolle und gerät in die Verwicklungen der Telenovela-Starlets. Zwei Morde geschehen, an deren Aufklärung Carlotta und ihr Schwiegersohn, der Sylter Kommissar Erik Wolf, mitwirken. Im Vordergrund steht dabei jedoch ein oberflächlicher Blick auf die Produktion billiger Telenovelas, wobei sich die alternden Darstellerinnen für Demütigungen an einem »Chefautor« rächen, der nur als eindimensionale Karikatur bis zu seinem erbärmlichen Ende existiert.

Selbst Sylt kommt nie über das Klischee hinaus und stellt lediglich eine beliebige Kulisse für die zähe Handlung dar. Gängige Sylt-Marken wie Gosch, Feinkost Meyer oder Gogärtchen werden als Product-Placement mehrfach ins Geschehen eingeblendet; die Insel ist ein Refugium der Schönen und Reichen, in das sich auch einige Gestrandete verlieren, um den Roman nicht allzu langweilig erscheinen zu lassen. Paulys literarische Ästhetik hat ihren Ursprung in der Massenunterhaltungsliteratur des neunzehnten Jahrhunderts. Die Figuren werden wie auf einer Guckkastenbühne vorgeführt, wobei die Autorin, als hätte sie gerade den Vorhang aufgezogen, sie mit autoritären »Vor-Urteilen« dem Leser präsentiert. »Sandra Zielcke war eine bezaubernde junge Frau von Mitte zwanzig«, heißt es an einer Stelle, »mit langen blonden Haaren, einem schmalen Gesicht, heller Haut und großen grauen Augen.« In ihrer eindimensionalen Technik der Illusion lässt Pauly die Aufklärung der Mordfälle im Dialog vom Kommissar und Assistent mühselig vollziehen, und der Roman wabert in langatmiger Geschwätzigkeit dahin. Die plumpe Konstruktion wirkt in der Audio-Version frischer, wobei Katharina Thalbach vor allem die Vitalität und Naivität der Carlotta fast parodistisch zu überhöhen versucht, wobei jedoch auch ihr Talent nicht ausreicht, um einem mediokren Text gute Seiten abgewinnen und ihn für die Dauer von knapp fünfeinhalb Stunden erträglicher machen zu können. Letzten Endes verkauft sich jedoch auch ein als vom »Crossmarketing« als »Spitzentitel« deklarierter Schund gut, wenn ihm die verkaufsträchtigen Attribute »Krimi« und »Sylt« eingebrannt sind.

In der letzten Kurzgeschichte Raymond Chandlers (»The Pencil«, 1957) verbringt Philip Marlowe die Wartezeit in einem Motel in Phoenix mit der Lektüre eines Taschenbuchkrimis. »Dann fragte ich mich, warum ich diesen Quatsch las, wo ich doch Die Brüder Karamasow hätte auswendig lernen können«, sagt sich der Erzähler und macht das Licht aus. Ein ähnliches Urteil ließe sich auch über den Krimi Gisa Paulys fällen.