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5. Oktober 2012
Robert Mattheis
für satt.org
  Andreas Niedermann, Goldene Tage
Andreas Niedermann, Goldene Tage. Roman. 208 Seiten, Softcover. Songdog Verlag, Wien 2012. 18,00 Euro
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Gold klauen und Blech reden. Andreas Niedermanns Roman Goldene Tage

Eine der goldenen Regeln für Hollywood-Drehbuchautoren verlangt, dass der Held irgendwo auf seinem Weg auf einen weisen Alten stößt, der ihn mit den Mitteln – dem Elixier, der Wünschelrute oder dem Gral – ausstattet, die er braucht, um sein Abenteuer zu bestehen. Aufgestellt wurde sie von Joseph Campbell, der dazu angeblich sämtliche Mythen der Welt durchforstete.
Klassisches Beispiel eines solchen Mentors ist (für die Generation STAR WARS) Yoda, der puppenförmige Jedi-Meister, der Luke Skywalker beibringt, wie man dem Bösen den rechten Unterarm abhackt. Der kleine grüne Yoda gibt viel salbungsvollen Blödsinn von sich, tiefsinnige Puppenweisheiten und Glückskeksmaximen in schräger Grammatik – doch da sein Schüler Luke ein Erwählter ist, ein „moralisches Genie“ (David Mamet), ein Held, schafft er es, mit diesem dünnen Faden den Untergang des Imperiums zu stricken.

Der ironische Gedanke, auf dem Goldene Tage fußt, lautet: Was, wenn der weise Alte ein alter Blödmann ist?

Der Held in Goldene Tage heißt Rambo Rimbaud. Ich muss sagen, dass mich der Name spontan begeistert hat. Rambo und Rimbaud – zwei Archetypen moderner Legendenbildung, die die Gemeinsamkeit teilen, die Verlogenheiten der Zivilisation nicht ausgehalten zu haben, und die auf je unterschiedliche Weise in die Martialität geflüchtet sind.
Rimbaud, der als Dichter begonnen hat und als Waffenhändler endete, nur 37 Jahre alt; Rambo, der auch mit Waffen handelt, aber nicht merkantil, sondern destruktiv, und entsprechend langlebig und erfolgreich ist. Rambo Rimbaud als Kreuzung aus beiden, der feingeistige Intellektuelle mit dem Maschinengewehr, der eine Schneise von Blut in die Wälle der Stupidität fetzt – man kann dabei an Brinkmann denken, wie er Reich-Ranicki einst mit seinen Vernichtungsphantasien traktierte.

Rambo Rimbaud Andreas

Rambo Rimbaud ist ein Niemand, ein Underdog und Herumtreiber, der einem Roman von Jack Kerouac oder Céline entsprungen sein könnte, oder einer Kurzgeschichte von Blaise Cendrars – ein Namenloser, der von einem Schriftsteller namens Andreas Rambo Rimbaud getauft wird. Wir erleben die beiden vor dem Hintergrund der achtziger Jahre; es ist die Zeit der Jugendunruhen, Häuserbesetzungen und Straßenschlachten. Andreas kann jede Menge trinken, weiß auf alles eine Antwort – zur Not gibt er sie mit seinen Fäusten. Er war einmal ein bekannter Schriftsteller, nun ist er publikumsmüde, schreibt nur noch für sich selbst, tippt auf seiner IBM Bücher, die er in sein Regal stellt, damit er auch mal was Gutes zu lesen hat.

So erfrischend und unterhaltsam Rambo Rimbaud erzählt – schnell, flott, salopp und tatsachensatt –, so haarsträubend überzogen fallen die Passagen aus, in denen – aus verzweifelter Ambition – Andreas den Ton angibt.
Dieser Andreas redet wie der junge Helmut Krausser in seinen Tagebüchern an jenen Stellen, da man sie entnervt aus dem Fenster werfen möchte.
Definitiv ist der alte Saftsack eine Parodie: Auf alles hat er eine Straßenweisheit zu erwidern, er ist bis zur Kante des Unterkiefers voll mit Erkenntnissen wie: „Hemingway war der Beste.“ Was er nicht sagt, ist:
„Bukowski war der Zweitbeste. Der Drittbeste wäre ich, wenn es Céline nicht gäbe. Und was ist der vierte Platz wert? Einen Schuss in den Kopf.“
Andreas sehnt sich nach einem Abgang in der Tradition des Besten. Er will Rambo Rimbaud als Todesengel einspannen und schlägt ihm einen Handel vor: Er sagt dem jungen Mann, wie er an einen Batzen Gold kommen kann (konkret zwei Barren), und dafür soll dieser ihm Schützenhilfe leisten...

Ich glaube, der einzige Grund, warum Rambo Rimbaud diese ganzen haarsträubenden Tiraden des väterlichen Bevormunders erträgt, ist, dass er ein Simplicissimus ist – und das auch weiß. Am liebsten wäre er ein Mitglied der Fremdenlegion, aber dafür fühlt er sich zu unbescholten, zu unbeleckt. Man muss etwas auf dem Kerbholz haben, so Rambos Privatphilosophie, bevor man sich auf die Seite der Outlaws schlagen darf, die immer die hübschesten Huren abbekommen. (Eine Menge Pubertät steckt im ganzen Buch, oh ja, viel Gärung, und das erscheint auch gerechtfertigt, denn immerhin ist es ein Entwicklungsroman, oder sagen wir besser: ein Bildungsroman.)

Gleich mit zwei Frauen nicht zusammen

Ein Frage, die der Roman Goldene Tage um und um wendet, lautet: Was ist ein Künstler? Rambo Rimbaud, der gleich mit zwei Frauen nicht zusammen ist, mit einer von ihnen aber wenigstens ein Kind zeugt, modelliert in seiner Küche sexuelle Plastiken aus Gips – Brüste, Vaginen, Penisse. Später gehen sie beim Abbruch seines Hauses verloren.
Auch der große Gold-Coup, so gut er sich anlässt, schlägt am Ende fehl.

Im Subtext – und dies macht den Roman zu einem Stück echter, großer Literatur – handelt Goldene Tage davon, wie man mit der Vergangenheit umgeht. Was, wenn irgendwelche im Hirn festgefressenen Ansichten über Literatur, Leben und Laster das Talent lähmen?
Genau das ist die Dialektik von Rambo Rimbaud und seinem Andreas: Der Alte zwingt dem Jungen nicht nur seinen stilistischen und lebensweisheitlichen Unsinn auf, er drängt ihn in seinen eigenen aufgewärmten Lebensplan.
Glücklicherweise ist Rambo Rimbaud stark genug, um sich gegen diese Vereinnahmungsversuche zu wehren – vielleicht, weil er dezidiert unkulturell ist. Immer, wenn er zu andreasieren beginnt und der Leser dies Unbehagen in der Magengrube spürt („Och nein, bitte nicht schon wieder!“), schaltet Rambo ein „sagte Andreas“ hinterher.

Am Ende emanzipiert sich Rambo Rimbaud von seinem Namensgeber.
Dieser schickt ihm einen langen Brief zum kurzen Abschied ins Exil nach. Rambo Rimbaud liest ihn nicht zu Ende, wirft ihn in den Müll, kehrt Brief und Autor den Rücken und geht seines Weges, neuen Abenteuern entgegen – und einer Frau, aus der vielleicht mehr werden könnte als nur eine Frau. Damit gibt er die Antwort auf die Frage, wie man das wahre Gold der Tage vor windigen Dieben schützt: Meide die falschen Propheten! Du kannst die Vergangenheit nicht wiederholen. Du kannst nur deinen eigenen Weg gehen, den Weg des Rambo Rimbaud.