Teresa Präauer, Für den Herrscher aus Übersee. Roman. 144 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 16,95 Euro »Verlag »amazon
Fliegergarn
Teresa Präauers »Für den
Herrscher aus Übersee«
Die Handlung des Buches ist seine Sprache. In ihr ereignet sich alles, sie ist das Ereignis.
Die Umschlagphotographie von Teresa Präauers Roman Für den Herrscher aus Übersee – jüngst mit dem aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige (Prosa-) Debüt ausgezeichnet – ist ein Objet trouvé aus den 60er Jahren; sie zeigt zwei Lausbuben. Der eine, größere, trägt eine Sonnenbrille, schnittiges Modell, er beugt die Knie und lacht frech ins Objektiv; der andere, kleinere, hält sich distanziert, blickt zurückhaltend, abwartend, scheint Münzen in seine Schmuddelhand zu zählen. Teresa Präauer, die das Cover gestaltet hat, hat ihm eine Papierkrone und zackige Flügel montiert. Eine dritte Figur steht abgeschnitten im Bild, ein Mann, vielleicht der Großvater der Kleinen.
Auf der Umschlagrückseite ist, in der stilisierten Art des Origami, ein fliegender Kranich zu sehen.
Für den Herrscher aus Übersee beginnt verblüffend, mit einem Bildschnitt.
Die „Fliegerin“ wird beschrieben, in einem „bohnenförmigen Fluggerät“ sitzend, vor ihr, in V-Formation, Zugvögel, unter ihr Felder, Flüsse, Bäume. „Über einem von schwarzen Spuren durchzogenen Feld sitzt ein riesenhafter heller Fleck, der alles Darunterliegende überdeckt. Es ist der Daumen des Bruders, der die Postkarte mit der Fliegerin und ihrem Autogramm in seiner Hand hält.“
Diese Eingangsszene führt schon Präauers Kniff und Kunstfertigkeit vor, das Erzählte in der Schwebe zwischen tatsächlichem Geschehen, Erinnerung und Imagination zu halten. Dieser spielerische formale Aspekt ist kein Selbstzweck, sondern dient der Romanhandlung, die auf diese Weise beweglich gehalten wird; sie thront nicht, sondern kippelt.
Die Reise der Fliegerin und ihre Begegnungen bilden einen von drei Erzählsträngen des Buchs. In dessen Zentrum steht ein Geschwisterpaar – es bleibt offen, ob zwei Brüder oder Bruder und Schwester –, das bei seinen Großeltern Ferien macht, während die Eltern auf Reisen sind: Sie treten nur als Unterschriften auf täglich eintreffenden Urlaubspostkarten in Erscheinung und erst zum Schluss auch in Person. Präauer setzt sie diskret ins Bild, beinahe könnte man sie übersehen.
Die unwahrscheinliche Häufung von Luftpostsendungen ist Indiz dafür, dass das Buch seine eigene Wirklichkeit hat, seine eigenen Möglichkeiten ausspielt, die zwar Wirklichkeitsfarben tragen, und doch „wie frisch aus dem Bilderbuch geschnitten“ erscheinen.
Drittens und schließlich geht es um den Großvater als jungen Mann und eine notgelandete japanische Pilotin, um ihre Erlebnisse zu Lande und in der Luft, ihrer beider Liebesgeschichte, um die unendliche Reparatur des lädierten Unglücksflugzeugs. Der Großvater erzählt selbst davon, er war ja dabei, aber er gestattet sich Freiheiten, die ihn als Geistesbruder des Barons von Münchhausen oder Käpt’n Blaubärs ausweisen. Da kann er auch mal, selber Lausbub, „eine Kinderstimme“ haben.
Die Japanerin spielt eine wichtige Rolle. Weit mehr als 'nur' die Liebschaft des „Größte[n], Dunkelste[n] und Tapferste[n]“ zu sein, ist sie Allegorie des Fremdländischen, zu dem man nur mit dem Flugzeug gelangen kann, oder in der Phantasie, oder durch Älterwerden, denn das fremde Land steht auch für die Liebe, von der die Kinder noch nicht viel wissen, der Großvater aber sehr wohl. „[F]üll diese Geschichten lieber in deine Einweckgläser und geh jetzt ins Bett“, neckt die Großmutter, als der Großvater wieder einmal von der Japanerin anfängt, die Kinder können nicht genug davon kriegen.
Der Großvater ist ein ruppiger Mann, der sein Bier mit dem Messer öffnet, den Kronkorken durchs Zimmer schnippt, seine Zigarette an der Kerzenflamme entzündet (irgendwo wird ein Seemann sterben) und auf dem Fußboden ausdrückt, „zwischen unseren Gesichtern“, wie das Erzähler-/Erzählerinnen-Ich vermerkt, das mit seinem Bruder rücklings auf der Erde liegt, nachdem der Großvater sie beide an seiner Zigarette hat ziehen lassen – „Es dreht uns vom Sessel wie zwei Propeller.“ Die Flugübungen, die er seinen Enkelkindern abverlangt, sind auch nicht von Pappe. Und dann gibt es noch eine andere Großvater-Geschichte, die sich vor dem Hühnerverschlag abspielt und mit der Frage an die Enkel beginnt: „Welchen Vogel [...] habt ihr am liebsten?“
Präauers Freude an den Wörtern ist allenthalben zu greifen, in einem rhythmisierten Satz wie: „Zum Schluss tunken wir unsere Daumen in Tinte [...]“ mit seinem schönen Wechsel von T zu D zu T und dem wiederkehrenden, auf die betonten Silben fallenden U; in den zahlreichen Farbadjektiven, die den Text stellenweise der Malerei oder Collage annähern – Farben, die auch Heimat bedeuten; in Wortreihen wie „Rollfeldbesitzer“, „Rollfeldbesitzerin“, „Rollfeldbesitzerpaar“; in Dopplungen wie „put-put“, „doch-doch“, „klack-klack“, „klick-klick“; in der Weise, wie Perspektiven (kopfunter am Arm des Großvaters hängend) und Arten der Fortbewegung beschrieben werden: holpernd, aufschlagend, torkelnd, patschend, fast-waagerecht in einem Hui über die Wiese rennend-fliegend.
Auch syntaktische Frei- und Feinheiten sind hervorzuheben, so in einer Unterhaltung der Kinder über ihren Vater, der „nichts Japanisches an sich“ habe, er sei aber doch ein Freund des Tees. „Ja, sagt der Bruder, und ein Liebhaber der japanischen, der Bruder macht seine Stimme beim nächsten Wort glockenhell, Kunst des Papierfaltens.“
Wie bei einer Bastelei, die über den ganzen Tisch gebreitet ist, greifen in Für den Herrscher aus Übersee Ordnung und Unordnung ineinander. Es geht planvoll zu (im Sinne der Autorin), aber es geht auch hoch her; manchmal wird es so still, dass man das Rascheln im Inneren des Kuckuckseis zu vernehmen scheint, das der Bruder an sein Ohr hält, manchmal fliegt Porzellan.
Eine schöne, akustisch choreographierte Szene, ziemlich zu Beginn des Buches: Die Großmutter schlägt eine Fliege tot, der Großvater läuft stampfend auf und ab, der Bruder klatscht dazwischen, das „Ich“ beginnt, „mit einem Löffel auf die Teller im Abwaschbecken und die Töpfe auf dem Herd zu schlagen. Die Großmutter klatscht noch einmal auf die tote Fliege, und noch einmal, und klopft dazwischen aufs Fensterbrett.“ Dann kommt ein Absatz, und in der neuen Zeile: „Danach wird wieder miteinander gesprochen.“ Wie gut ist das gemacht!
„Ich bin mit dem Schreiben nicht nachgekommen, da hab ich mich ins Fluggerät gesetzt und bin losgeflogen[.]“, ist dem Buch als Epigraph vorangestellt. Schreiben und Fliegen kommen hier in Pseudogegensätzlichkeit zusammen. Lautlich und semantisch klingt auch das mittelalterliche Bild vom weißen Pflug an, der schwarzen Samen sät – Federkiel und Tintenschrift.
Präauer, die sich in der Fliegerin vielleicht auch selbst porträtiert, ist dem Schreiben natürlich sehr wohl nachgekommen. Die Behauptung des Nichtgenügens kann nur auf das 'realistische' Schreiben gemünzt sein, von dessen Fesseln sie sich befreit. Mit oder ohne Friederike Mayröcker mag sie sich gesagt haben: „Wozu Wirklichkeit abpausen, wenn so viel Fiktion vorhanden.“ Der Satz passt, aber Mayröcker ist hier nicht als Referenz zitiert. Da wäre eher an Felicitas Hoppe zu denken, die auch so genau und flunkernd schreibt – und ebenfalls Preisträgerin des aspekte-Literaturpreises war (1996), by the way.
Die Wirklichkeit lässt Präauer keineswegs, so wenig wie eine Handlung, außer acht, doch treten beide gegenüber der Sprache nicht dominant auf, sondern laufen als „Beiwagerl“ (Präauer) mit. Die Art, in dieser Gewichtung Wörter und Sachen zusammenzubringen, kann poetisch genannt werden; sie ist viel seltener anzutreffen als die prosaische Betonung des Inhalts. Für den Herrscher aus Übersee ist so gesehen ein Ausnahme-Buch.
Teresa Präauer hat auch den Band Taubenbriefe von Stummen an anderer Vögel Küken (2009) veröffentlicht, der „15 Zeichnungen ingeniöser Vögel“ enthält, und ebensoviele Texte, schmal wie ein Vogelring. Außerdem ist sie als Illustratorin von Wolf Haas’ Die Gans im Gegenteil (2010) hervorgetreten.