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18. Februar 2013
Thomas Backs
für satt.org
 
Joseph O'Connor, Irrlicht. Roman. Aus dem Englischen (Irland) von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. 320 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012. 19,99 Euro
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»Theaterspielen heißt atmen«.
Joseph O`Connors Roman Irrlicht

Kurz und voller Leidenschaft soll sie gewesen sein, die Affäre zwischen John Millington Synge und der jungen Schauspielerin Molly Allgood, überliefert ist nur wenig davon. Joseph O’Connor hat die gemeinsame Zeit der beiden in einem fesselnden Roman verewigt. Mit Ghost Light (Irrlicht) gelang dem älteren Bruder von Sängerin Sinéad O’Connor einer der irischen Bestseller der letzten Jahre. Im S. Fischer Verlag ist 2012 eine deutschsprachige Übersetzung erschienen.

In Molly Allgoods Erinnerungen durchlebt der Leser die Tage der aus einer einfachen, katholisch geprägten Familie stammenden Schauspielerin mit dem berühmten, viele Jahre älteren Dramatiker. Es ist der Spätherbst des Jahres 1952, in dem die verarmte, alkoholkranke Molly sich durch die dunklen Straßen von London schleppt und in diesen, ihren letzten Tagen, immer die lange vergangenen Erlebnisse in Dublin vor Augen hat. Eine Ich-Erzählerin ist die einst gefeierte Bühnendarstellerin nicht, im fortlaufenden Selbstgespräch hat der Autor das „Du“ als Anrede gewählt: „Was geschehen ist, ist geschehen, und du wirst immer Kingstown in deinem Herzen tragen, ganz gleich welchen Namen es noch bekommt. Und jetzt bist du wieder da, an einem Ort, der seinen Namen verloren hat, jetzt wo du durch den schmutzigen Nebel des Russell Square gehst.“ Einzige Anlaufstelle dieser einsamen Spaziergänge ist in Gedanken das winzige Antiquariat eines freundlichen Buchhändlers, dort lockt Kleingeld für persönliche Schriftstücke.

Kingstown, das ist heute als Dún Laoghaire bekannt, Synge und Allgood haben es in anderen Zeiten erlebt. Ein gesellschaftlicher Skandal war die Beziehung zwischen der hoffnungsvollen jungen Frau und dem bald schwer kranken Autor in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts (im Roman in den Worten von Synges Mutter: „Ich nehme an, du weißt, dass unsere Familie in ganz Wicklow bekannt ist? Hast Du die Worte 'Schande' und 'Skandal' aus deinem Wörterbuch gestrichen? Gar nicht zu reden von dem Ruf des Mädchens, falls es einen hat.“), Joseph O`Connor lässt den Leser mit Molly immer wieder in die Entstehungszeit von The Playboy Of The Western World am Abbey Theatre (Uraufführung: 1907) blicken. Fiktional ist beinahe alles, eine Biografie kann und will diese kunstvolle Erzählung nicht sein. Gemeinsame Tage in Wicklow, Gespräche mit Yeats und Lady Gregory, persönliche Zeilen von Synge, als Epilog ein abschließender, unveröffentlichter Brief aus dem Nachlass von Molly – Joseph O' Connor zieht in diesem Werk wirklich viele Register.

„...drängte man ihn, das Stück über Mayo umzuschreiben.“

Aufführungen vom Held der westlichen Welt gehören nicht zur Szenerie, dafür die erhitzte Debatte über dessen Inhalt im Vorfeld: „Im Theater drängt man ihn, das Stück über Mayo umzuschreiben. Es wird Ärger geben. Die Patrioten werden es nicht mögen. Man kann keinen Iren auf die Bühne bringen, der damit prahlt, dass er ein Mörder ist – einen Raufbold, der seinen Vater erschlägt! Das ist Wahnsinn.“

Das Theater ist das Bindeglied zwischen den Liebenden, der Playboy war auch Mollys Stück. „Theaterspielen heißt atmen“ heißt es an einer Stelle des Romans, auch Joseph O`Connor baut Bühnenelemente in diesen kunstvoll arrangierten Plot. „Szene aus einem halb erfundenen Theaterstück“ lautet die Überschrift von Kapitel 9, wir erleben die inszenierte Darstellung von John Synges Besuch bei Mollys Familie, in Dublins Mary Street. Das alles ist erdichtet und erfunden, so wie die wiederkehrenden Episoden mit William Butler Yeats und Lady Gregory, die am Theater mitmischen. Yeats tritt dabei während der Proben als glühender Verehrer Synges auf: „Ihr werdet genau den Text, den ihr jetzt mit eurer nichtswürdigen Spucke besudelt, vom Regalbrett nehmen, auf dem er über Jahre – Jahrzehnte vielleicht – gelegen hat, und das Feuer, das altehrwürdige Herdfeuer unserer Muse, soll euch mit Schande verbrennen, dass ihr euch nicht in den Staub geworfen habt, als ihr noch die Möglichkeit hattet, vor ihm niederzuknien.“

Für Historiker und Heimatforscher ist hier allerhand Nonsens dabei, Autor Joseph O`Connor nimmt sich das Recht dazu. „Die meisten Ereignisse in diesem Buch sind überhaupt nie geschehen. Gewisse Biographen würden mir wahrscheinlich einen Schlag mit der Torfschaufel über den Schädel geben“, schreibt er im Nachwort der vorliegenden Ausgabe. „Ich muss mich bei allen Yeats-Gelehrten entschuldigen, dafür, dass ich den großen Mann und seine Werke entstelle, auch bei allen, die sich mit Lady Gregory und Synge und Sean O’Casey beschäftigt haben.“ Mögen sie ihm vergeben, die Gelehrten. Ghost Light fesselt mit Lesestunden der ganz speziellen Art.