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Robert Mattheis, Hohlkörper. Roman aus der Medienwelt. 228 Seiten, Broschur. Acabus Verlag, Hamburg 2009. 16,90 Euro, eBook: 1,99 Euro » Verlag » amazon
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»Hohlkörper«
von Robert Mattheis
Im Wartezimmer des HNO-Arztes, wo ich mich heute zur nochmaligen Ohrenkontrolle wieder einfand, warteten vor mir so viele Leute, allesamt Rentner, wie mir schien, dass ich endlich Gelegenheit hatte, den Roman Hohlkörper von Robert Mattheis fertigzulesen. Während des Lesens fiel mir ein Gespräch wieder ein, das ich vor geraumer Zeit einmal mit dem Ochsen führte, der sich damals über die sogenannte junge deutsche Literatur beschwert hatte. Alle diese Leute würden doch überhaupt nur Schriftsteller werden, damit sie nicht arbeiten müssten, so der Ochse damals sinngemäß. Dann flanierten sie durch Berlin, immer sei es ja Berlin, wo sie durchflanierten, und schrieben dann melancholisch-poetische Romane, angefüllt mit den beim Flanieren aufgesaugten Impressionen, dabei aber leider völlig an der Welt vorbei schreibend. Das reale Leben der heutigen Menschen könnten diese Schreiber nicht beschreiben, weil sie es schlichtweg nicht kennten, ich zitiere immer noch den Ochsen aus dem Gedächtnis, die deprimierende Wirklichkeit der allermeisten Leute fände in Büros statt, aber nie würden Romane in Büros spielen, dies sei ein eklatanter Missstand, ein Versagen der deutschen Literatur.
Meine Antwort auf diese fulminante Rede war damals gewesen, dass es für sowas wahrscheinlich einfach keinen Markt gebe, keine Leser. Wer den ganzen Tag im Büro hocke, wolle vermutlich am Feierabend nicht auch noch einen Büroroman lesen, sondern Geschichten über Liebesaffären, Wüstenabenteuer, Spionage … Ein paar ganz Verträumte würden vielleicht auch ein bisschen Berlinflaniererei mögen, aber sicher keine Bürostories.
Daran musste ich jetzt, mit meinem Buch in diesem Wartezimmer sitzend, wieder denken, weil Hohlkörper tatsächlich zu großen Teilen in Büros und Konferenzzimmern irgendwelcher Medienkonzerne und Werbeagenturen spielt, aber dennoch das komplette Gegenteil von dem darstellt, was man sich unter einem Büroroman vorstellt. Kein weinerliches Lamento über die öde Tretmühle der Arbeitswelt, sondern eine anarchische und völlig überdrehte Feier des Wahnsinns, der in diesen Büros tagtäglich stattfindet.
Ich kam am Anfang nicht richtig rein in dies Buch, man wird erstmal erschlagen von einer Masse von Figuren, auch einen Handlungsstrang kriegt man nicht so recht zu fassen, die Idee einer aristotelisch korrekt aufgebauten Handlung wird im Buch selbst ständig persifliert. Wenn man es aber aufgibt, nach nicht existenten roten Fäden zu greifen, dann entfaltet Hohlkörper in seiner ganzen Zerstückeltheit einen echten Sog.
Der Kern der Geschichte ist, dass Bob und Georg den nächsten Roman für das Autorenpseudonym Utz Feller schreiben sollen. Dieser imaginäre Feller ist der „beliebteste Thrillerautor unserer schönen Republik“ und wird verlegt von Cyclops Media, einem Verlagskonzern, bei dem ausschließlich die Bilanzen zählen, nicht die Kunst. Dennoch haben Bob und Georg es sich in den Kopf gesetzt, Utz Feller ein postmodern-antiaristotelisches Literaturkunstwerk unterzujubeln, womit sie natürlich gnadenlos scheitern bei den Entscheidern von Cyclops Media. Immer wieder werden sie zu Umarbeitungen des Manuskripts genötigt, aber in jede Neufassung bauen sie einfach noch mehr narrative Ebenen und Metafiktionen ein, standhaft verweigern sie es, einen schön nach Schema F aufgebauten Thriller abzuliefern. So wie der Roman Sprengkörper von Utz Feller unter den Händen von Bob und Georg immer weiter zerfasert, so zerfasert auch der Roman Hohlkörper, der die Geschichte des Romans Sprengkörper erzählt, immer weiter in nur noch lose miteinander verknüpfte Miniaturen. Aber in diesen Miniaturen, in den Details, steckt die wahre Sprengkraft des Romans. Bei aller Überdrehtheit und Destruktion der Form zeigt sich doch im ganz Kleinen, in einzelnen Sätzen und Szenen, dass Mattheis diese Welt der Werber und Textvermarkter sehr gut kennt, in all ihrer Aufgeblasenheit – und der Tragik, die die innere Hohlheit, oder Ausgehöhltheit, dieser Bürokörper birgt.
Vor allem ist das Buch aber saulustig. Die Rentner im Wartezimmer mit ihrer Sportbild oder Bild der Frau auf dem Schoß schauten schon komisch zu mir rüber, weil ich immer wieder so leiselaut in mich hineinlachte.
Als ich mit den Hohlkörpern durch war, waren immer noch drei Leute vor mir, so dass ich gezwungen war, das Handy zu zücken und noch ein bisschen in den Blogs zu stöbern, Rezeptideen zum Tintenfisch und so Zeug. Und ganz zum Schluss, um das hier schön aristotelisch fertig zu erzählen, durfte ich auch noch ins Sprechzimmer rein. Die Gehörgänge sähen jetzt schon viel besser aus, sagte der Arzt. Antibiotische Tropfen absetzen, noch zwei Wochen Cortisonsalbe, dann dürfte die Sache ausgestanden sein.