»HORNS«
von Joe Hill
Joe Hill ist der Sohn von Stephen King, und weil er ebenfalls Horror-Romane schreibt, verzichtete er auf seinen Nachnamen. Es hat sich auch so ausreichend herumgesprochen. Nach dem bereits ansprechenden Debüt Heart-Shaped Box und einer Kurzgeschichten-Zusammenstellung beweist spätestens sein zweiter Roman Horns, dass er sich vorm Papa nicht verstecken braucht. Hätte Joe einen ähnlich umfangreichen Output, könnte er dem Vater sogar gefährlich werden. Noch lange nicht, was die Auflagen angeht, aber zumindest in Sachen kontinuierlicher Qualität. Die beiden haben übrigens auch schon einige Storys gemeinsam geschrieben, diese sind bisher aber ausschließlich als eBooks oder Hörbücher erhältlich – wahrscheinlich kommt dann in ca. 5-6 Jahren eine gemeinsame Publikation heraus (zumindest lief das bei den weniger traditionellen Veröffentlichungen des Vaters häufig so).
Doch zum Buch. Wie der Originaltitel weitaus besser als die seltsame Eindeutschung »Teufelszeug« impliziert, geht es dabei zunächst um einen jungen Mann, dem plötzlich Hörner wachsen. Noch stärker als seine äußerliche Veränderung ist aber der Wechsel in dem, wie seine Umwelt auf Ignatius »Ig« Perrish (übrigens mal wieder ein netter »sprechender« Name) reagiert. Die Hörner nehmen einige gar nicht wahr, sie haben aber einen deutlichen Einfluss: In seinem Beisein offenbaren sie ihre dunkle Seite, und sind gleichzeitig sehr beeinflussbar durch Igs Kommentare. Ein großartiges Element des Buches ist es, gemeinsam mit Ig die »Spielregeln« seiner neuen Existenz auszuloten. Wer sieht seine Hörner gar nicht, wer vergisst Gespräche mit ihm unmittelbar danach, bei wem funktioniert das Ganze hingegen gar nicht? Seine Zimmergenossin »with benefits« stopft sich aufgrund seiner Gleichgültigkeit eine größere Box nicht mehr taufrischer Donuts in den Hals, bis sie Magenschmerzen bekommt.
Schon früh gibt die Geschichte Einblicke in die Vergangenheit Igs. Nicht nur auf die Nacht vor der Entdeckung im Badezimmerspiegel, sondern auf den ein Jahr zurückliegenden Sexualmord an seiner Freundin seit Highschoolzeiten, Merrin, bei dem er der Hauptverdächtige war und ist, doch die Beweismittel waren damals plötzlich verschwunden. Beweismittel, die vielleicht auch auf seine Unschuld gedeutet hätten. Erst im zweiten größeren Teil des Romans wird die Geschichte dieser Liebe erzählt, und Hill bringt dabei die Nebenfiguren der Geschichte ins Spiel, darunter seinen berühmten älteren Bruder und einen Knaben in seinem Alter, der ihn vorm Ertrinken rettete.
Der Einstieg mit der »dunklen Seite« von Zufallsbegegnungen wie Familienmitgliedern erinnert ein wenig an den perfiden Manipulator Lelant Gaunt in Väterchen Stephens Needful Things (1991), mit dem entscheidenden Unterschied, dass Ig meistens sehr sympathisch und moralisch gefestigt erscheint, doch in wieweit sich auch dies durch die Hörner verändert, sollte man selbst nachlesen.
Die Story (mit winzigsten Einschränkungen beim Schluss), die philosophisch-religiöse Tragweite, die Figuren: alles funktioniert hier bestens. Hill scheut nicht vor manchmal erschreckenden Szenen, hat aber durchgehend ein gewisses literarischen Niveau. Einiges im Romanist aber vielleicht auch zu durchdacht, dann Hill ließ sich nicht nur von Schwester Naomi (eine Geistliche) beim Finden passender Bibelstellen unterstützen, teilweise ist es aber auch so, als hätte man alles, was irgendwie zum Thema passt, noch unbedingt mit einbringen müssen in die Geschichte. So haben die Männer in Igs Familie eine Affinität zu Blechblasinstrumenten (eine wörtliche Übersetzung des Titels hätte diese Doppeldeutigkeit durchaus beibehalten), er fährt einen »Gremlin«, wenn der Kühlschrank fast leer ist, findet man zumindest noch ein paar »devilled eggs« und natürlich verzichtet man (ganz der Papa) nicht auf ein paar passende Rocksongs wie »The Devil Inside« von INXS. Das Schlusskapitel des Buchs heißt entsprechend sogar »The Gospel according to Mick and Keith«. Der Titel von Hills neuestem Roman i (offenbar ein Nummernschild mit versteckter Botschaft) gibt mir das Gefühl, dass sich an diesem Trend in seinem Werk so schnell nichts ändern wird.
Alles in allem eine sehr unterhaltsame Lektüre, die aber auch Denkanstöße gibt. Und bei bisher gut 30 gelesenen Büchern in diesem Jahr mein aktueller Favorit.
Für Fans des Vaters: Ich mag mich irren, aber ich glaube, schon im Debüt (und jetzt wieder) wird mal kurz ein Ort namens »Derry« erwähnt, außerdem gibt es eine Erwähnung des väterlichen Debütromans Carrie, allerdings ohne explizite Nennung des Autors.