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15. Februar 2014
Meinolf Reul
für satt.org
  Monika Rinck, Hasenhass
Monika Rinck, Hasenhass. Eine Fibel in 47 Bildern. 40 Seiten, geheftet, mit Illustrationen von Monika Rinck. Peter Engstler Verlag, Ostheim 2013. 12,00 Euro
» Verlag




Monika Rincks
Witz-Theorie-Fibel

Hasenhass

Zu den Eigenarten der Bücher Monika Rincks zählt es, dass der Leser das Gefühl hat, nach ihrer Lektüre schlauer zu sein als vorher, mag er auch nicht aus allem klug werden. Rincks jüngste Veröffentlichung (nach dem feinen, mit dem Peter Huchel-Preis ausgezeichneten Band Honigprotokolle) bildet hierin keine Ausnahme.
Hasenhass. Eine Fibel in 47 Bildern heißt das schöne, intelligente und alberne poetische Buch, das der Peter Engstler Verlag nun in bibliophiler Ausstattung herausgebracht hat.
Hätte Engstler nicht auch Helmut Höges „Kleinen Brehm“ im Programm – man könnte, dem Titel nach, und in Anbetracht des erst vor wenigen Monaten erschienenen Gedichtbands wider die wiesel von Ulf Stolterfoht, beinahe eine zoophobe Tendenz des Verlags vermuten, was natürlich absurd ist. Wenn Rinck Honig mit Hohn und Hasen mit Hass verbindet, so hat dies eine rein poetische Bewandtnis und eine eigene zwingende Logik.

Aufmerken lässt vorab die Gattungszuordnung „Fibel“, die mit Bedacht gewählt ist. Der etwas aus der Mode gekommene Begriff bezeichnet ein bebildertes Lesebuch für Erstklässler und ein Lehrbuch, das in die Grundlagen eines bestimmten Fachgebietes einführt. In Hasenhass verknüpft Rinck beide Aspekte und kombiniert knallharte Theoreme mit erschütternd Albernem, Simplem, ja Kindischem.
Sie lässt den Leser an Lesefrüchten teilhaben, zitiert Dichterkollegen: Ghérasim Luca, Christa Reinig, Jean Paul, Eichendorff, Ovid, misst dem iPhone „Ich-Energie“ zu, die sie in einem neuen Modell durch „Furcht“ ersetzt („Ruf mich auf dem fearPhone an“), sie beobachtet „Idioten an luftverschalteten Kontakten“ und kennt die „Reine Leere“, die sich schnell als „La Reine Leere“ entpuppt, als Königin Leere, unterwegs zur „Wüstenbude“, wo sie „etwas Sprudel oder Dudler“ kauft, um ihre Kamele zu tränken.
Ein guter Witz – so sollte das Büchlein zunächst heißen: „Witz“ einerseits in seiner alten Bedeutung von Wissen, Verstand, Klugheit, Weisheit und andererseits in der heute gebräuchlichen einer pointierten lustigen Erzählung.
Reichlich Absurdes, gezeichnete und erzählte Witze, der Witz als philosophisches und psychologisches Problem – dies alles findet sich hier, mit Grips und leichtem Sinn.

Ein Prosagedicht, das eine Hasenzeichnung begleitet (die skurrilen s/w-Illustrationen stammen alle von der Autorin), eröffnet das Heft.
„Wieder und wieder flammte es auf, hier und da, war mit einem Mal schier überall, legte sich nieder, verstummte, wurde dunkel. [...]“
Dieser erste Satz ist bestimmt von einem rhythmisierten Wechsel langer und kurzer Vokale und, damit verbunden, einer klanglichen Wellenbewegung, mit Schaumkronen („wieder“, „hier“, „schier“, „nieder“ usw.) und Wellentälern, vielleicht auch einem Auslaufen und Verebben.
Ein zweiter Satz: „Im hohen Bogen knallen die Blasen auf rot[.]“, weist eine vergleichbare, aber kompakte, Vokalgestalt und Musikalität auf.
Sprachklang und -rhythmus, Lautfarbe und -schattierungen sind in diesem Eingangsstück enthalten, das, trotz aller Benennungen und Einzelheiten, abstrakt bleibt, aber konkret vorführt – auf nicht-semantische, materielle Weise konkret –, aus welchem Stoff Dichtung gemacht ist.

Der zweite Text des Bandes ist eine Reflexion über den Witz („der tröstende und fürchterliche Gedanke, dass Menschen generell über alles lachen können, alles, noch über das Schlimmste“), mehr noch: eine „Enzyklopädie des Witzes“ (Stephan Kammer), gestaltet als große wunderbare, über eine ganze Seite hinweg wandernde Bewegung, wie mit einem Schleppnetz gelassen durch die Sprache fahrend, um alles, was in ihr ist, einzufangen und zu bergen.

Anspielungen auf und Zitate von Hegel, Sigmund Freud, Roger Caillois und Immanuel Kant zeigen schon an, dass Hasenhass nicht so easy-peasy ist, wie es zunächst den Anschein hat. So notiert Rinck (oder ist es das lyrische Ich?) in einer Anmerkung zu Freuds Essay „Die endliche und die unendliche Analyse“ (1937): „Ich möchte auf das „und“ aufmerksam machen [...]. Das Endliche findet Raum im Unendlichen, und das Unendliche, solange das Endliche noch kein Ende hat, eigenartigerweise im Endlichen.“
Eine weitere Paradoxie, die sich aus Rincks Freud-Lektüre ergibt, sei dem Leser überlassen selber zu entdecken.
Am Fuß der hier, nur um ein Beispiel zu geben, grob rekapitulierten Seite steht ein galliger Witz („Im Schützengraben: Jetzt hörn Sie doch auf zu schießen. Sehn Sie denn nicht, dass da drüben Menschen rennen?“), den man mit Freuds/Einsteins Briefwechsel „Warum Krieg?“ (1933) assoziieren mag, oder mit dem Erster Weltkrieg-Gedenkjahr. Nicht lustig, aber eine Illustration der Verrohung, die Krieg mit sich bringt.

An Hasenhass ist einmal mehr Rincks Freude an normal-verrückten, bei genauerer Betrachtung befremdlichen Wörtern abzulesen: „Vergnügungspark“, „Bubble Tea“, „Orchestergraben“, „Begrünungsabschnitt“, „Parallelbetrieb“, „Falzkante“, „Mischhack“ usw.
Auch ein Faible für Comicsprache scheint vorhanden: „schwuppdiwupp“, „zack bumm“, „kawatz“, „hihi“.
Dazu gibt es Formulierungen wie „taumelnde Äquivalenz“ oder „glänzende Abträglichkeit“, die typisch für diese Dichterin sind, die auch für einen rheinischen Diminutiv wie „Ideechen“ Sinn hat und zur guten Laune schon mal ein „Yes!!!!!“, „Kross!“ oder cool-ironisches „o yeah“ einbaut – eine wilde Mischung.

Hasenhass, dies kurzweilige und knifflige Büchlein, zitiert aus gutem Grund das klassisch-romantische Programm der „Zusammenführung von Poesie und Wissenschaft“. In der freien Form ausgearbeiteter Skizzen, die den Philosophen ebensogut zu Gesicht steht wie den Dichtern, findet Rinck einen ihr gemäßen Weg, akademisch zu sein ohne Akademismus. Die Hasenhass-Fibel zeugt von Spiellust, Neugierde und kibbiger Intellektualität. In ihr ist nicht zuletzt ein Prinzip wirksam, das seit jeher dazu beigetragen hat, die Dichtung beweglich und frisch zu erhalten: die Überraschung.