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18. März 2014
stefan heuer
für satt.org
  Àxel Sanjosé, Anaptyxis. Gedichte.
Àxel Sanjosé, Anaptyxis. Gedichte.
(Lyrik-Taschenbuch Nr. 85)
Rimbaud Verlag, Aachen 2013
56 Seiten, broschiert. 12,00 Euro
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Àxel Sanjosés
Gedichtband
Anaptyxis
schöne Gedichte in der
kleinen bunten Tüte

Obwohl man ja heutzutage keine Videokassetten mehr kaufen kann, ohne sogar auf dem Flohmarkt doof angeschaut zu werden, besitze ich noch eine stattliche Anzahl dieser etwas aus der Mode geratenen Speichermedien. Filme könnte ich mir auch auf DVD besorgen, da gibt es ja so ziemlich alles. Die wahren Schätze sind also eher die Mitschnitte der späten, berauschten Nachtstunden; Mitschnitte, die heute eben nicht mehr so einfach erhältlich sind. Ein schönes Stück meiner Sammlung, neben der kompletten Edgar Wallace-Reihe, ist die Aufzeichnung eines MTV-Specials aus dem Jahr 1996. David Bowie hatte im Jahr zuvor das mit Brian Eno komponierte und produzierte Album „1. Outside“ vorgelegt und sollte, im Glanz einer von allerlei Stars und Sternchen eingerahmten Zeremonie, in die Rock 'n' Roll Hall of Fame in Cleveland aufgenommen werden. Eine lange Liste von Gründen, warum man Bowie zu ehren gedachte, wurde verlesen. Zur allgemeinen Überraschung war es Madonna – ungeduldig geworden, und wahrscheinlich auch durstig –, die den Sermon mit dem Zwischenruf: „Entschuldigen Sie, es hat ja wohl auch was damit zu tun, dass er ein so toller Typ ist!“ unterbrach und für diese Störung des Protokolls die Lacher auf ihrer Seite hatte.

Ich erinnere mich an dieses Videoband beim Lesen einer Rezension zu Anaptyxis, der neuen, in der Lyrik-Taschenbuchreihe des Rimbaud Verlags erschienenen, Gedichtsammlung von Àxel Sanjosé. Es ist eine positive Rezension, und viel Interessantes und Wahres ist in ihr zu lesen. Beispielsweise, dass es in den Gedichten von Sanjosé „ruhig und gesetzt und weniger diskurspoppig“ zugehe.
Ja, das kann man so sehen. Ihnen wird bescheinigt, dass man sich meditativ in sie versenken könne – nun, das ist wohl Geschmackssache.
Ebenso erfährt man, dass das Wort „Anaptyxis“ den Einschub eines kurzen Vokals zwischen Konsonanten bezeichnet, der dazu dient, es leichter aussprechen zu können. Aha, wieder was gelernt!

Nun aber zu dem Punkt, an dem ich in Madonnas Metall-Korsett der Virgin-Tour steige und meine innere Stimme rufen höre: „Mach die Madonna!“, und so sage ich, analog zur Queen of Pop: „Alles richtig, aber gefallen mir die Gedichte von Àxel Sanjosé nicht vor allem deshalb, weil sie, man darf es bei Gedichten ja ruhig mal so einfach sagen, schön sind?“

Die Bewandtnis

Hier haben die Riesen
ihr Lager vergraben,
ein Humpen ragt einsam hervor,
in der Hast, in der Hast vergessen.

Ein würdiges Wahrzeichen
dieses Abwesens,
komm lass uns gehen,
die Dinge sind und sind,
die Luft klumpt sehr.

Ja, die Gedichte dieses Bandes sind schön, so einfach lässt es sich sagen. Wegen ihrer betont altmodischen Sprache, wegen Passagen wie: „Ich fürchte die Schneisen im Forst, / wenn jäh sie bedeuten, / den unvermuteten Parkplatz, / den man zu sehen bekommt, / so ortlos, so unangebracht, / die Zeilen, die niemand lesen sollte. // ...“ (aus „Gebete im Nahverkehrszug“), weil sie Spaß machen, weil in ihnen Wörter auftauchen, die sonst nie oder nur selten in Gedichten auftauchen (wie „Zwischenmusik“ oder „Lurch“ oder auch „Finsterwerden“), weil sie spielerisch belehren, indem sie Fragen stellen, indem sie Rätsel aufgeben, die den Rätseln in Vertretungsstunden ähneln, welche die Stunden viel schneller verstreichen lassen als der reguläre Unterricht.

Ich möchte aber bemängeln, dass Anaptyxis zusammengewürfelt wirkt. Auf kurze Gedichte mit Titel folgen unbetitelte, fragmentarisch anmutende Texte, zwischendrin gibt es einige Seiten mit Querdruck, siebzehn Haikus, ein einzelnes, etwas verloren wirkendes, Sonett.
Mag sein, dass gerade dieses Sich-nicht-festlegen-Wollen, dass gerade diese stilistische Vielfalt gewollt sind und zum konzeptuellen Ansatz gehören. An meinem Eindruck, dass es sich bei Anaptyxis ebenso um eine Anthologie von zwanzig verschiedenen (guten) Autoren handeln könnte, ändert das nichts.
Natürlich hätte das Buch durchaus auch ein bisschen dicker sein dürfen: Es enthält auf 56 Seiten 32, zum Teil recht kurze, Gedichte, unterteilt in drei Kapitel (so dass zum Ende hin noch so viel Platz bleibt, alle bisher erschienenen Lyrik-Taschenbücher mit Titel aufzuführen).