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Achim Wagner, flugschau. Gedichte. 72 Seiten, gebunden, mit 4 Illustrationen von Felix Beckheuer. [SIC]-Literaturverlag, Aachen und Zürich 2011. 16,00 Euro » Verlag
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Achim Wagner:
flugschau
„du musst näher kommen
sonst kann ich dir nicht ausweichen“
Die Gedichte in Achim Wagners flugschau sind meist knapp gehalten, kurzzeilig, durchgehend kleingeschrieben, ohne Interpunktion. Ihr Inhalt ist nicht leicht zu bestimmen.
Der Buchtitel, die allesamt dem Begriffsfeld der Luftfahrt entliehenen Gedichtüberschriften („das tiefenruder senken“, „die böen parieren“, „abschmieren“, „heruntergehen“, „hochlassen“ etc., jeweils mit entsprechendem französischem Pendant) wie auch einzelne Signalwörter innerhalb der Texte verweisen auf das Thema des Fliegens; dies indes scheint mehr eine Folie zu sein. Tatsächlich handelt es sich um Gedichte der Begegnung, der Liebe, auch des Entliebens (so im allerersten, „ballast abwerfen“).
Bleibt das lyrische Ich in der Anonymität, haben die Frauen, auf die es trifft – wirklich oder in Gedanken –, Namen (nur einmal heißt es schlicht „ma chère“). Diese sind aber wohl nicht im Sinne einer je verschiedenen Identität zu verstehen, zumal sie sich im Wechsel von Ophélie zu Viviane zu Clarisse zu Noémie, Sandrine, Cécile, Nicolette, Fabienne etc. wie beim Farbkreisel zu einem Weiß neutralisieren, einer Projektionsfläche, einem Du.
Räumlichkeiten, Wohnsituationen werden aufgerufen, öffentliche Orte, flüchtige Bleiben. Wände werden gestrichen („die fliegerin“), ein Krankenbesuch gemacht („die rolle“) – schön gesehen hier das Bild des „mühsamen ventilator[s]“ und der „einfältige[n] tischlampe“. Zeitangaben lassen an Verabredungen denken oder an den Arbeitsplan von Stewardessen. Oder sie begleiten ein Erinnern: „ich fand diesen rock die schuhe / um 16 Uhr 37“.
Gesprächsfetzen, Geräusche, Beobachtungen im Vorübergehen fügt Wagner kunstvoll zusammen, zuweilen erinnern die Gedichte an die poèmes-conversations Guillaume Apollinaires, in denen dieser die Rastlosigkeit des Lebens in der Metropole Paris und die simultane ungeordnete Wahrnehmung des Dichter-Flaneurs wiederzugeben suchte (Calligrammes, postum 1918).
Ticken, Summen, Knistern, Rascheln, Rauschen, aber auch „töne aus glas“ oder der „klang von emmanuelles fahrrad“ sind als akustisches „hintergrundmaterial“ in den Gedichten präsent und geben ihnen, wie auch die wechselnden Beleuchtungsverhältnisse und Lichtquellen zwischen „positionslichtern“, „abblendlicht“ und „neon / zeichen“, eine stoffliche Sinnlichkeit.
Der Band bietet, dem Titel entsprechend, leicht und licht anmutende, auf eine unaufdringliche Art auch artistische, Gedichte. Die Schwere und Materialität, die in ihnen eingeschlossen ist, hat dank Wagners Sprach- und Formkunst etwas Sublimes und Durchlässiges, so dass man das Buch eher dem französischen als dem deutschen Geist zuschlagen möchte.
Übernahme aus dem eingestellten Blog Monnier Beach,
wo der Beitrag am 6.10.2011 veröffentlicht worden war,
hier geringfügig bearbeitet.