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29. November 2015 | Meinolf Reul für satt.org |
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Nele Brönner & Monika Rinck
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Zeichnung: Nele Brönner |
„Die Erde ist eine Scheybe. Ihr Knistern ein Speicher.“
Das gezeichnete Rund erinnert an ein rotierendes Schneideblatt oder an eine Lochplatten-Spieldose. Doch passen „Knistern“ und „Kratzer“ besser zur (Vinyl-) Schallplatte; ein „Plattenteller“ kommt, an anderer Stelle, tatsächlich vor. Es scheint sich, so oder so, um ein Speichermedium zu handeln, in das „Nachrichten der allseitigen Verdunkelung“ aufgenommen sind.
In diesem ersten Text tritt auch die Hauptfigur von I Am The Zoo ins Geschehen, Candy, Gefährtin des lyrischen oder erzählenden Ichs. Sie nimmt ihm das Versprechen ab, sich „die Gräber der Berühmten genau anzusehen, noch genauer“. Es scheint ihr wichtig zu sein. – Der (irgendwie prollige) Candy-Name wird im folgenden hier und da dekliniert, „Candy, Staubzucker. Hagelzucker“, bis hin zur zauberischen „puderzuckerleichte[n] Hand“ im abschließenden Text – beinah so schön wie die kleine Regenhand bei E. E. Cummings.
Die ersten sieben Doppelseiten bilden eine Art Exposition, in der Motive angespielt und – in der Interaktion von Wort und Bild – Erwartungen geweckt und sanft unterlaufen werden. Noch ist unklar, wohin die Reise geht. „Mensch Candy!“ heißt es da zum Beispiel in kolloquialem Stil, dann plötzlich, grübelnd: „Dass ich ein Mensch bin, ist das gegeben?“ - Der bekiffte Hit „From Disco to Disco“ der Kölner Whirlpool Productions wird zitiert, in karnevalistischer Verkleidung: “Von Iglu zu Iglu”. Der „Disko-Pinguin“, der solcherweise jubelt, muss ein Cousin des vorbeistreunenden „Diskofox“ aus Hasenhass sein. – Biblisches klingt an („Katze, wo ist dein Spachtel?“, „Doch Candy, die sah, dass es nicht gut war“), auch Psychologisches („die Umdeutung von Angst in Lust“) und, einmal mehr, Philosophisches („Erkennen bedeutet sich dem Leben der Gegenstände zu übergeben, so Hegel“), es gibt regionale („gefleckert“) und altmodische poetische Ausdrücke („Ob es auch taute“) – alles dies einer fein gearbeiteten, wunderbar modulierten lyrischen Prosa anverwandelt, die erzählerische Qualitäten hat, zugleich aber auch das Tastende vermittelt, das sich aus der Erstbegegnung mit den überraschenden Bildfindungen Nele Brönners ergibt, die oft witzig, und immer gewitzt sind.
„O, Du kalte Wirrsal arktischer Korridore: Wieder nicht gewonnen.“
Ein metatextueller Stoßseufzer? Doch eine Niete gezogen zu haben – davon kann auch für den Leser keine Rede sein, im Gegenteil.
Es schließt sich dann eine regelrechte Abenteuergeschichte an, ein conte philosophique im Miniaturformat, in der ein tintenschwarzer „vielköpferte[r] Dschinn“ eine tragende Rolle spielt.
Candy hat bei dem Flaschengeist einen Wunsch frei, aber dieser soll ihn „lange und mühsam an einem anderen Ort beschäftigen“, und so wünscht sie sich, „dass weltweit die Gewalt aufhört!“ – „Mit einem Mal war es totenstill“, heißt es lapidar. Man mag an Immanuel Kant denken, der eingangs seiner Schrift Zum ewigen Frieden das gleichlautende Schild eines holländischen Gastwirts erwähnt, „worauf ein Kirchhof gemalt war“(I. K.).
Im weiteren Verlauf der Dschinn-Episode finden sich Candy und das Ich in ein Äffchen verwandelt wieder – „in einen einzigen Affen“. Das Thema der Gewalt bleibt ihnen auch unter dieser Maske nicht erspart, von den „verbliebenen Gewaltpartikel[n], die in allen Verhältnissen aufstauben“ bis zur erstaunten Frage: „Ooh! Herrscht denn noch Gewalt?“
Diese fällt aber erst im Schlussteil: Das zusammen mit Candy im Affen eingeschlossene Ich wird zum Zerreißen gedehnt, und eine verblüffende kosmische oder eschatologische Wende à la „2001: A Space Odyssey“ nimmt ihren Lauf. Bild und Text sind von äußerster Dynamik und Spannung, beruhigen sich dann in einer quasi-statischen Organisation, in der rasende Geschwindigkeit und Stillstand in eins fallen. Die Fragen, die I Am The Zoo ganz beiläufig stellt, werden auf dieser letzten Strecke zugespitzt: Wer oder was ist das Ich? Wo verläuft die Grenze zum, beispielsweise, Tiersein, oder Totsein? Noch etwas aufsagen können, in der Lage sein, Beobachtungen zu machen – was bedeutet das im Licht der Ewigkeit? „Gewisse Ich-Energie noch vorhanden“, „Restbewusstsein“ – ja. Andererseits die Überlegung: „Auch die Treue könnte dein tierischer Anteil sein.“ Im großen Nichts ist nichts mehr gewiss. „Bin ich noch am Leben? Hm.“
Die Scheibe vom Beginn bildet auch das Schlussbild. Aber ist es dieselbe, nach allem, was dazwischen lag?
„Ganz leichter Schwindel, als sei der Boden ein wenig gesunken. Auf meinem inneren Teller drehte sich eine Scheybe und setzte Erinnerungen frei, die wie von außen an mich herantraten. Candy legte mir ihre puderzuckerleichte Hand auf die Schulter, summte eine Folge von Tönen, die in das Knistern der Scheybe hinabstiegen. Ihre Kappe war staubig, mehrere Kabel lose und ihr blondes Fell gegen den Strich gefegt.“
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