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21. November 2020
Robert Mattheis
für satt.org
  Heiner Müller, Der amerikanische Leviathan

Heiner Müller, Der amerikanische Leviathan
edition suhrkamp 2020, Tb, 341 Seiten, 18,00 €
ISBN: 978-3-518-12756-8
» Verlag


„Heil COCA COLA“

Der Suhrkamp Verlag lässt von Frank M. Raddatz einen Heiner-Müller-Reader herausbringen, der Amerika gewidmet ist und die Welt erklärt. Zumindest die von Heiner Müller. Und der vor allem richtig, richtig gut ist. Was allen Beteiligten nur Probleme schafft.

Die Zeiten ändern sich. Wer liest denn noch Zeitung? Wer findet im Online-Auftritt der Zeitungen das Feuilleton? Wer hat die Zeit, sich auf die Suche danach zu begeben?

Suhrkamp wollte also einen Werbespot produzieren. Einen richtigen Werbespot. Wie für Coca-Cola oder Mercedes-Benz. Diesmal aber für den neuen Heiner-Müller-Reader: „Der amerikanische Leviathan.“

Es sollte ein Versuchsballon werden. Heiner Müller würde man so eine kapitalistische Eskapade nachsehen. Und wenn nicht: Der Autor war sowieso seit 1995 tot.

Nach reiflicher Beratung und vielen Nervenzusammenbrüchen hatten sich die Presseleute des Verlags an die renommierte Werbeagentur Geil + Verlogen, Berlin, Hamburg und Kosovo, gewandt.

Torsten Geil, der Chief Creative Officer, empfing sie in seinem Büro. Er war stolz, endlich mal was für die Kultur machen zu dürfen.

An der Wand neben seinem Schreibtisch hing ein Plakat, das Billy Wilder zeigte. Über dem Foto der Filmlegende prangte die Zeile: „How would Lubitsch do it?“

Die Suhrkamp-Marketingleute waren aufgeregt. Sie konnten kaum stillsitzen.

Torsten Geil erklärte ihnen, dass er ein „extrem spannendes“ Team auf den Job angesetzt habe. Ein paar Grafiker und Texter. Junge Leute, die einen frischen Zugang zu dem Thema finden würden. „Die gehen an so eine Sache geistig freier ran als unsere Oldies, die bei Büchern natürlich immer gleich verkrampfen, weil sie früher selbst gern eines geschrieben hätten.“

Die Suhrkamp-Abgesandten lachten höflich.

Geil rief laut nach einem gewissen „Roman“, der vor der Tür seines Glaskäfigs auf und ab lief, und trug ihm auf, bitte das „Suhrkamp-Team“ in sein Büro zu rufen.

Bitte.

Während die Leute von Suhrkamp und der CCO sich in Smalltalk ergingen, kamen ein paar Zwanzigplusser ins Büro geschlendert. Sie ließen sich auf dem grünen Sofa nieder. Dabei versuchten sie, sich so wenig anzuspannen wie möglich. Einer nahm einen Schluck aus seinem „Club-Mate“, hergestellt aus einer jahrhundertealten Urwaldpflanze aus Südamerika.

Endlich waren diese jungen Spinner alle in der Sitzecke untergebracht.

Torsten Geil rieb sich die Hände und grinste begeistert, als müsste er eine Schlagershow der Volksmusik moderieren. „Okay, was habt ihr für unsere Freunde vom Max-Frisch-Verlag?“, fragte er.

Betretenes Schweigen. Betretene Mienen.

„Was?“, fragte Torsten Geil. Sein Lächeln bekam Risse.

Einer seiner jungen Männer druckste herum. Ein schmaler Jüngling mit Fünf-Tage-Bart.

Torsten Geil sagte ärgerlich: „Könntest du das noch einmal sagen, aber so, dass man auch was versteht?“

„Das Problem ist: Das Buch ist richtig, richtig gut“, sagte der junge Mann daraufhin. Er sagte es diesmal laut und deutlich.

Die Suhrkamp-Leute wechselten befremdete Blicke.

„Tolle Auswahl, toller Autor, wenn auch leider tot, unterhaltsames, informatives Nachwort.“ Der junge Texter, der das sagte, errötete heftig, nachdem er es gesagt hatte.

„Die alphabetische Aufmachung als Lexikon macht Spaß“, sagte der Fünf-Tage-Bart-Träger. „Sie schafft einen leichten, intuitiven Zugang. Und jeder Eintrag hat etwas Stimulierendes, Inspirierendes, auch wenn man bei vielem vielleicht Quatsch!‘ ausrufen möchte.“

„Eine rundum gelungene Angelegenheit“, fasste ein Mädchen mit einer Brille, die zu schwer für ihre kleine Nase zu sein schien, zusammen.

Torsten Geil guckte irritiert. „Und was ist das Problem? An einem richtig, richtig guten Buch?“

„Wir können keine Werbung für was Gutes machen.“

„Das haben wir nicht gelernt“, sagte das Mädchen mit der wuchtigen Brille.

Der Schmale mit dem Fünf-Tage-Bart zuckte die Achseln. „Tja. Leider.“

Das Mädchen mit der Brille wandte sich an die Suhrkamp-Leute. Sie lächelte ihnen aufmunternd zu und sagte: „Aber ihr habt ja jede Menge andere Sachen, für die wir Werbung machen können.“